Volltext: Die Geschichte des Weltkrieges II. Band (2,1920)

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südslawischen Macht durchsetzen. Dazu kam, daß eben der 
griechisch-türkische Krieg den Balkan neuerlich aufzuwühlen 
begann. Und so wurde 1897 neben der Verlängerung des 
Dreibundes für fünf Jahre, parallel zu den konservativen 
Vereinbarungen von Mürzsteg zwischen Hsterreich-Ungarn 
und Rußland, nun auch ein besonderes Abkommen zwischen 
Hsterreich-Ungarn und Italien über Albanien getroffen, 
das Albanien auch weiterhin unter türkischer Oberhoheit er-- 
halten wollte; sollte das nicht möglich sein, so würden sich 
Ssterreich-Ungarn und Italien um eine Autonomie Alba- 
niens bemühen, jedenfalls aber nur gemeinsam und nicht 
selbstsüchtig ohne oder gegen einander vorgehen. Zu diesem 
Übereinkommen bekannten sich die Staaten wiederholt, 
solange noch der Weltfriede dauerte. Allerdings hat dabei 
Italien jede Gelegenheit einer bewußten „Penetration 
pacifique" in Albanien wahrgenommen und Österreich-- 
Ungarn hat ihm oft, so namentlich durch die Begünstigung 
der italienischen Unterrichtssprache in den von der Monarchie 
erhaltenen Schulen Albaniens geradezu geholfen. (Vergl. 
die immerhin beachtenswerten Einzelheiten in dem Buch 
von Ch l u m e ck y „Hsterreich-Ungarn und Italien", Wien 
1907.) Dabei beklagten sich die Italiener wegen der Uber-- 
griffe Hsterreich-Ungarns! 
Man darf aber nicht glauben, daß sich diese ganze Zeit 
über das Dreibundverhältnis so selbstverständlich durchgesetzt 
hätte wie seine Verlängerungen. Abgesehen von den Stö- 
rungen durch den Jrredentismus, von denen wir alsbald 
sprechen werden, lag es im Wesen Italiens, daß es mit den 
beiden unbekannten und jedesfalls artfremden nordischen 
Staaten und namentlich mit Hsterreich-Ungarn nur eine 
„Vernunft-Ehe" abzuschließen vermochte. Sein Herz blieb den 
Franzosen zugetan; und der Groll zwischen Frankreich und 
Italien sollte vorübergehen. Kaum hatteEamille Barrere, 
der neue, überaus gewandte und namentlich im Verkehr mit 
Zeitungsleuten erfahrene Botschafter Frankreichs in Rom, 
feine Stellung angetreten, als die alte Freundschaft sichtbarlich 
wiederkehrte. 1898 kam ein neuer Handelsvertrag zwischen 
Italien und Frankreich zustande. 1899 erkannte Italien Frank-- 
reichs Ansprüche auf Marokko, Frankreich aber Italiens An-- 
spräche auf Tripolis an. Das Abkommen wurde auch den 
Verbündeten Italiens erst 1902 bekannt gegeben. Und wäh-- 
rend Graf B ü l 0 w, der Kanzler des Deutschen Reiches, 
das Wort von der „unschuldigen Extratour" Italiens aus- 
sprach, konnte der französische Minister Delcasse die Auf- 
sehen erregende Mitteilung machen, daß Italien in keinem 
Fall einen Angriff gegen Frankreich unterstützen würde. Ganz 
gewiß, der Dreibund hinderte seine Genossen nicht an anderen 
Freundschaften und bedachte noch viel weniger einen Angriff. 
Aber Delcasse wußte doch gar viel zu erzählen ... 
Nichtsdestoweniger brachte das Jahr 1902 wieder eine 
Verlängerung des Dreibundes, diesmal, wie es hieß, für 
zwölf Jahre; eine Kündigung, die 1907 möglich gewesen 
wäre, unterblieb (Singer, Geschichte des Dreibundes). 
Der italienische Minister P r i n e t t i bemühte sich übrigens, 
auch in den Text des Dreibundvertrages eine der neuen 
französisch-italienischen Freundschaft entsprechende Änderung 
zu bringen oder doch nach außen hin den Schein zu erwecken, 
als ob ihm das gelungen sei. Das Übereinkommen von 
1904 zwischen Frankreich und England fand Italien schon 
sozusagen als „stillen Teilhaber". Immer eifriger wurde das 
Dreibundverhältnis in den folgenden Jahren erörtert, immer 
häufiger wurden, freilich auch eine Folge der zunehmenden un- 
seligen Verhetzungen und Machtbestrebuugen in ganz Europa, 
liche Einleitung. 
die „Belastungsproben" des Bündnisses. 1906 hielt der Ver- 
treter Italiens auf der Konferenz von Algeciras, die den 
deutfch-frauzösischen Marokkostreit schlichten sollte, mit Eng- 
land zusammen die Partei Frankreichs, während Österreich- 
Ungarn die deutschen Ansprüche unterstützte. Es wurde viel 
über dieses Auftreten Italiens gesprochen und schließlich ge- 
lang es, die Spuren der Absonderung zu verwischen. Immer 
wieder bekräftigten die Reden wechselnder Minister die Festig- 
keit und die Friedensziele und Friedenserfolge des Dreibundes; 
aber es war nicht mehr die frühere Selbstverständlichkeit. 
1908 trat Italien dem Vorschlag Aehrenthals, 
eine Bahn durch den Sandschak zu bauen, entgegen und 
unterstützte einen Gegenplan. Die Annexion vollends schien, 
so wenig sie einen wirklichen Machtzuwachs für Hsterreich- 
Ungarn bedeutete, nicht nur den italienischen Jrredentisten, 
sondern so ziemlich der ganzen italienischen Öffentlichkeit 
mehr als bedenklich. Sofort wurden „Kompensationen" ge- 
fordert. Ja es wurde sogar in der Kammer (Dezember) 
die unsinnige und von der italienischen Regierung selbst 
sogleich zurückgewiesene Behauptung vorgebracht, Österreich- 
Ungarn habe einmal Italien als Entgelt für Bosnien das 
„Trentino" versprochen. Der Abgeordnete F 0 r t i s, der 
eine neue Einstellung der italienischen Politik vorschlug und 
Wachsamkeit empfahl, wurde auch von den Ministern be« 
glückwünscht. T i t t 0 n i, der Minister des Äußern, gab 
zuletzt ein gleichsam gedämpftes Bekenntnis zum Dreibund 
ab. Die Krise löste sich, Italien setzte Vorteile für Montenegro 
durch und sein König traf 1909 zu Racconigi mit dem 
Zaren zusammen, der als „Gekränkter" das Gebiet Hster- 
reich-Ungarns bei seiner Reise dahin mehr als deutlich ver- 
mieden hatte. Im gleichen Jahre war Eduard VII. 
nach Italien gekommen. Die Freundschaft mit England und 
Frankreich wurde jetzt in Italien besonders eifrig betont; 
doch bekannten sich die offiziellen Redner jedesmal auch zum 
Dreibund. Besonders der Ministerpräsident von 1909, 
Baron S 0 n n i n 0 („eine große Macht im Dienste des 
Friedens ... eine Garantie für die Interessen Italiens"). 
Klagen über mangelnde Innigkeit der Beziehungen wollten 
freilich nicht aufhören. Der heiße Sommer von 1911 riß 
den Streit zwischen Deutschland und Frankreich wegen der 
marokkanischen Angelegenheit neuerlich hart an den Ab- 
grnnd des Krieges. Und noch ehe dieser Streit vollkommen 
geschlichtet war, im September, überfiel Italien, in der 
Absicht, sich Tripolis nur ja nicht entgehen zu lassen, die 
Türkei, obwohl der italienische Minister des Äußern, Marchese 
di San Giuliano erst wenige Monate zuvor erklärt 
hatte, Italien wünsche, daß Tripolis für immer türkisch 
bleibe. Deutschland und Hsterreich-Ungarn, die Freunde der 
Türkei, gerieten in eine peinliche Lage, verstanden es aber, 
sich zu diesen beiden Gegnern korrekt zu verhalten. Was 
Italien anlangte, glaubten sie wohl, daß der Zug nach Tri- 
polis eine Ablenkung der italienischen Ausdehnungsgelüste 
mit sich bringen werde. Gegen einen italienischen Flotten- 
angriff auf Albanien und Saloniki mußte sich Hsterreich- 
Ungarn allerdings verwahren, da dergleichen dem Ab- 
kommen über die Aufrechterhaltung des Bestehenden auf 
dem Balkan widersprach; der italienische Botschafter in 
Wien, Herzog von A v a r n a, fand dieses Verlangen der 
Monarchie nur selbstverständlich. Die Türkei leistete tapfer 
Widerstand, aber sie wurde doch durch den langen Krieg 
geschwächt und so nahm der Balkanbund seinerseits die Ge- 
legenheit zu einem Abschüttelungskrieg wahr. Bulgarien, 
Serbien, Montenegro und Griechenland erreichten ihre Ziele^
	        
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