Volltext: Die Geschichte des Weltkrieges II. Band (2,1920)

Äie Sommeroffmflve'der ideutschen in Russisch-Polen iyi?. 
zwischen dem 4. und 5. August. 
Der Wucht dieser Beschießung, 
welche ihre Flammenzeichen 
weit über denWarschauerHim- 
mel breitete, konnte die Be- 
satzung der Forts nicht stand- 
halten. Kurz nach Mitternacht 
des ?. Angust räumten die 
Russen das von den Bayern 
bedrängte Forts VI der äuße- 
ren Festungslinie. Die mu 
teren 8 Werke wurden 
darauf von Württembergern, 
Sachsen und Preußen auge- 
griffen. Und zwar hatten sich 
die preußischen Regimenter, 
welche vor den Bastionen VI I, 
Vlla, VIII und IX kämpften, 
ebenso wie die Sachsen vor 
dem Werk V schon tags vor- 
her bis an die Drahtverhaue 
herangearbeitet und drängten 
nun am frühen Morgen, über die nassen Gräben stürmend, 
vor. Auf der ganzen Angriffsfront entspannen sich heftige 
Kämpfe mit den Nachhuten des weichenden feindlichen Heeres. 
Waren auch die Verluste der angreifenden Truppen keine 
übermäßig großen, so kann dennoch nicht von einer frei-- 
willigen Räumung Warschaus gesprochen werden. Die 
Russen wurden aus der äußeren Festungslinie regelrecht 
hinausgeworfen. In der inneren Verteidigungslinie des 
engeren Fortsgürtels leisteten sie jedoch keinen weiteren 
Widerstand mehr. Die Einmarschstraßen nach Warschau 
waren für das nachdrängende deutsche Heer frei. Um 
7 Uhr morgens dieses 5. August zogen die Deutschen in die 
Stadt ein. Am selben Tage noch verbreitete sich die Kunde 
der Einnahme von Warschau über alle Länder Europas und 
Amerikas. Der Jubel in Deutschland und Österreich-Ungarn 
war unbeschreiblich. Bis in die kleinsten Täler drang die 
Nachricht von der Eroberung der polnischen Hauptstadt 
und überall war die Aufnahme die gleiche. 
Warschau, die drittgrößte Stadt des russischen Reiches, 
die stärkste Festung des Landes, der politische und geistige 
Mittelpunkt Polens war von den Russen preisgegeben 
worden. Die politische Tragweite dieses Ereignisses war 
noch höher einzuschätzen, als die militärische. Es bedeutete 
zugleich das Aufgeben der russischen Macht in Polen, der 
für die Gestaltung der polnischen Frage von entscheidender 
Bedeutung sein mußte. Das Schicksal eines ganzen Volkes 
wurde durch die Preisgabe der Hauptstadt gewandelt: für 
Polen mußte eine neue Zeit beginnen. Über diese Tatsache 
war man sich vom ersten Augenblick des deutschen Ein- 
marsches an bewußt. 
Auch auf die Mächte der Entente war die Wirkung der 
Eroberung von Warschau eine überaus tiefe. Man hatte 
in London, Paris und Rom noch in den ersten August- 
tagen auf das Zuversichtlichste behauptet, daß der Rückzug 
der russischen Heere von der Weichsel nach Osten vom Groß- 
fürsten Nikolai deshalb durchgeführt werde, um der 
drohenden Umfassung durch den Gegner zu entrinnen, 
hatte aber stets auf die Bedeutung der „unbezwinglichen" 
Festung Warschau hingewiesen. Man hatte von Seite der 
Feinde mit der Tatsache gerechnet, daß eine russische Be- 
satzung von 50000 bis 80000 Mann hinter den starken 
Forts die Festung Monate lang verteidigen werde, bis die 
russischen Heere ihren Angriff wieder aufnehmen könnten 
und neu ausgerüstet und vielfach verstärkt, an und über die 
Weichsel zurückkehren würden. 
Nichts von alledem trat ein. Die russische Nachhut 
trat noch einmal am linken Weichselufer nahe der Haupt- 
brücke den Spitzen der deutschen Truppen entgegen, ging 
aber nach kurzem Kampfe nach Praga zurück. In der Nacht 
zum 5. August waren schon die vier über die Weichsel führenden 
Brücken vom Feinde gesprengt worden. Drei davon waren 
Gitterbrücken, die vierte eine prachtvolle, kurz vor Ausbruch 
des Krieges • eingeweihte Flachbogenbrücke. Von Praga 
aus nahmen die Russen vom Morgen des 5. August ab 
das Stadtinnere Warschaus unter starkes Artillerie- und 
Jufauteriefeuer. Cs hatte den Anschein, als ob sie es be- 
sonders auf die Zerstörung des alten polnischen Königs- 
schlosses abgesehen hätten. Eine Mitteilung des Deutschen 
Hauptquartiers bemerkte zu dieser Tatsache: „Man wird 
hienach nicht gut die russische Behauptung glauben können, 
daß die Räumung der Stadt aus Schonungsrücksichten 
erfolgt sei." Doch dieses planlose Streufeuer konnte natür- 
lieh in einer Stadt von solcher Größe dem deutschen Heere 
nichts anhaben. Es war zu weiteren Schlägen bereit. 
Am 7. August war auch das rechte Weichselufer ober- 
halb und unterhalb von Warschau durch deutsche Vortruppen 
genommen worden. Am 9. August konnte der deutsche 
Generalstab auch die Besetzung von Praga melden, dessen 
militärische Bedeutung, abgesehen von seinen Forts und 
Feldbefestigungen, in den mannigfachen Bahnverbindungen 
besteht, die nach dem Innern des russischen Reiches von hier 
ihren Ausgang nehmen, gegen Nordwesten nach Nowo- 
Georgijewsk, gegen Nordosten über Bialystock, Grodno, 
Wilna nach Petersburg, gegen Osten nach Minsk und 
Brest-Litowsk und südwärts nach Jwangorod. 
Das russische Heer zog nach Osten. Der allgewaltige Groß- 
fürst befehligte diesen Rückzug. Noch galt er im Lager der 
Entente als der Erretter der gefährdeten russischen Armee. Aber 
infolge des Falles von Warschau waren seine Tage gezählt. 
Die Besitzergreifung der polnischen Hauptstadt durch die 
deutsche 9. Armee und unter dem Oberbefehlshaber Prinz Leo- 
p 0 l d von Bayern erfolgte jedoch erst am Vormittage des
	        
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