Im
Seiten des Angriffsstreifens tobten, gewannen die deutschen
Truppen nur sehr langsam an Boden. Endlich gelang es
württembergischen und sächsischen Bataillonen, das als Stütz-
punkt stark ausgebaute Wäldchen nördlich von Gravenstasel,
den Eckpfeiler im Schnittpunkt der feindlichen Nord- und Ost-
front, in kühnem Sturm zu nehmen. Der starke Druck des
deutschen Angriffs nötigte die Engländer zu weiteren Cnt-
schließungen. Die ganze Nord-, Ost- und Südfront zwischen
Fortuin und Klein-Zillebeke in einer Breite von 15 Kilometern
mußten sie aufgeben. Der Rückzug in die vorbereitete Brücken-
kopfstellung dicht östlich vor Upern erfolgte in der Nacht vom
z. zum 4. Mai. Die sofort nachdrängenden Truppen der Deut-
schen besetzten Gelände in der Tiefe von V2—3 Kilometern.
Der Erfolg dieses kurzen deutschen Offensivstoßes war ein
offensichtlicher; die Frontbreite war von 25 Kilometer auf
13Kilometer verkürzt worden, das Gebiet, das der Feind öst-
lich des Kanals besetzt hielt, war in seiner Tiefe von 9 Kilo-
metern auf 5 Kilometer zusammengeschrumpft. Der „Sack" um
Npern war um ein Bedeutendes enger geworden; die feind--
lichen Truppen und Stellungen dortselbst der konzentrischen Wir-
kung der deutschen Artillerie noch mehr als bisher ausgesetzt.
Lorettoschlacht.
Nach den hartnäckigen Offensivversuchen im Winter und
im Vorfrühling in der Champagne, bei Neuve-Chapelle und
zwischen Maas und Mosel, die alle nach kurzen, krisenhaften
Schwankungen in ein zähes Ringen ausliefen, aber zu keinem
Ergebnis führten, sollte im Monat Mai der feindliche Haupt-
stoß geführt werden, der nicht von begrenzten taktischen Gesichts-
punkten sich leiten ließ, auch nicht zur Entlastung des bedrängten
rusisschen Verbündeten angesetzt wurde, sondern der den strate-
gischen Durchbruch im Großen plante. Es galt, dafür alle
verfügbaren Kräfte an Mann und Material bereit zu stellen.
So ergab sich von selbst als geeignetster Angriffspunkt die Stelle,
wo die englische und die französische Armee sich berührten.
Diesen Berührungspunkt bildete der Kanal von La Bassee.
Das Gelände, das demnach für die Durchbruchsschlacht in
Betracht kam, das Gebiet zwischen Lille und Arras, bct dem
französifch-englischen Unternehmen auch noch eine Reihe an-
derer wesentlicher Vorteile. Die Deutschen befanden sich hier
nicht in sorgfältig ausgewählten Stellungen, sie hielten viel-
mehr die Linien im wesentlichen so, wie sie sich aus dem Be-
wegungskrieg im Herbst 1914 stabilisiert hatten. Da gab
es natürlich auch so manchen schwachen Pnnkt. Die örtliche
Beschaffenheit bot den deutschen Verteidigungsanlagen nur
dürftige Unterstützung in dem offenen, weithin übersehbaren
Gelände, das auch in seiner Fortsetzung den gleichen Charakter
bewahrte, wodurch sich, falls der Durchbruch gelänge, die
Aussicht eröffnete, im weiten, ebenen, hindernislosen Flach-
seld höchst geeignetes Terrain zu finden für die offene Feld-
schlacht, für eine glänzend vorgetragene Offensive. Im Abschnitt
La Bassee—Arras waren besonders wichtig die Stellungen
auf den östlichen Abhängen und Ausläufern des Höhenzuges,
der die Tiefebene von Donai nach Westen hin abschloß. Die
Deutschen hatten hier schon seit dem Oktober 1914 festen Fuß
gefaßt und während der Wintermonate sich in harten Kämpfen
um einige hundert Meter weiter vorgearbeitet. Die Stellungen
klammerten sich eigentlich nur an den äußersten, letzten Zipfel
dieses Höhenzuges, der zudem noch von beiden Seiten, im
Norden wie im Süden, vom Feinde umfaßt war. Aus der
allgemeinen Richtung Nord—Süd wendeten sich die Linien
bei Angres scharf gegen Südwesten, liefen über die heißum-
strittene Lorettohöhe zu den in zwei tiefen Bachgründen gelegenen
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Orten Ablain und Carency und bogen von hier aus wieder
gegen Südosten ab über Neuville, La Targette nach St. Lau-
reut, der östlichen Vorstadt von Arras. Dieser Teil der Stel-
lung folgte im allgemeinen der Einsenkung zwischen zwei Ter-
rainwellen, deren westliche mit dem Mont St. Eloy, den Dör-
fern Ecurie und Roclincourt die Franzosen inne hatten, während
die östliche, von Souchez aus, zur Höhe La Folie ansteigend,
zwischen den Orten Thelus und Bailleul wieder abfallend, sich
im Besitze der Deutschen befand.
Die Franzosen hatten die Vorbereitungen für den ge-
planten Hauptstoß mit äußerster Umsicht getroffen, sehr geschickt
wußten sie ihre Truppenverschiebnngen zu verheimlichen. Viele
Tage hindurch durfte keine Patrouille die Gräben verlassen.
Das schlechte Wetter zu Anfang des Monats Mai, das die
Luftaufklärung lahm legte, begünstigte ihr Vorhaben. Das
Heranführen großer Truppenmassen war nicht mit der ge-
wünschten Deutlichkeit zu erkennen. Immerhin gab es An-
zeichen, die dafür sprachen, und der deutschen Heeresleitung
das Signal zu erhöhter Wachsamkeit gaben.
Am 1. Mai begann die Kanonade und seit diesem Tage
lag schweres Artilleriefeuer auf den deutschen Stellungen,
besonders auf dem Abschnitt von der Lorettohöhe nach Süden
bis gegenüber Roclincourt. Am Morgen des 9. Mai steigerte
sich die Beschießung zu äußerster Heftigkeit. Auf die Gräben
der Infanterie, die Beobachtungsstellen der Artillerie und in
die Verbindungen nach vorne fiel Geschoß auf Geschoß. Eine
schwarze, dicke Rauchwolke lag über den Gräben, in der unauf-
hörlich der Feuerschein der platzenden Granaten rot aufblitzte,
während Minenwürfe Erdschollen und Trümmer der weißen
Kalkgesteine hoch in die Luft schleuderten. Der Feind begann
seine Hindernisse wegzuräumen. Gegen 8 Uhr schweigt das
Feuer wie auf einen Schlag. Und sofort eilen die Überlebenden
der Grabenbesatzungen und die Unterstützungen aus der zweiten
Linie an die Brustwehr, um den Jnfanterieangriffzu empfangen.
Allein statt des erwarteten Sturmes folgt eine neuerliche,
womöglich noch heftigere Beschießung der Artillerie. Abermals
ist das ganze Gesichtsfeld in Qualm und Rauch gehüllt. Endlich,
um 9 Uhr, sieht die Beobachtung von La Folie aus an einer
zufällig etwas rauchfreien Stelle südlich von Carency die lange,
dunkle Linie der vorgehenden französischen Angriffstruppen.
Dicht nördlich der Scarpe kommt der Angriff bald ins
Stocken. Haufen von Toten und Verwundeten bedecken das
Gelände vor den deutschen Drahtverhauen. Im Abschnitt
La Targette—Carency dagegen gelingt es den beiden an-
stürmenden französischen Armeekorps und der in ihrem Ver-
band fechtenden marokkanischen Division, die schwache Besatzung
der zerschossenen, eingeebneten Stellung zu überrennen. Die
zweite Stellung ist entblößt, ihre Bemannung war den Käme-
raden vorne zu Hilfe geeilt. Vorgeschobene Geschütze vermögen
den Ansturm nur vorübergehend aufzuhalten; er prallt weiter
vor, die Höhe La Folie wird genommen, und von hier aus
nähern sich die Feinde einerseits immer bedrohlicher dem Ost-
absall des großen Höhenzuges, und dringen andrerseits auch
gegen Norden vor, stürmen hinab in das Dorf Souchez. Eine
Hand voll Bayern verteidigt den Südausgang und hält den
Feind auf. Aber weiter westlich stürmt er weiter, über den
Earencybach hinweg, nimmt Monlin—Malon, umschließt
das Dorf Carency, gegen das bereits vom Süden und vom
Westen her der Sturm tobt, nun auch von Osten und be--
droht den Südabhang der Lorettohöhe. Um die Mittagsstunde
zeigt das Gefechtsbild einen äußerst kritischen Anblick: der
französische Durchbruch scheint in der Richtung auf Vimy
gelungen zu sein, und auch südlich davon, zwischen La Targette