Volltext: Die Geschichte des Weltkrieges Band III. (3; 1920)

Im 
Seiten des Angriffsstreifens tobten, gewannen die deutschen 
Truppen nur sehr langsam an Boden. Endlich gelang es 
württembergischen und sächsischen Bataillonen, das als Stütz- 
punkt stark ausgebaute Wäldchen nördlich von Gravenstasel, 
den Eckpfeiler im Schnittpunkt der feindlichen Nord- und Ost- 
front, in kühnem Sturm zu nehmen. Der starke Druck des 
deutschen Angriffs nötigte die Engländer zu weiteren Cnt- 
schließungen. Die ganze Nord-, Ost- und Südfront zwischen 
Fortuin und Klein-Zillebeke in einer Breite von 15 Kilometern 
mußten sie aufgeben. Der Rückzug in die vorbereitete Brücken- 
kopfstellung dicht östlich vor Upern erfolgte in der Nacht vom 
z. zum 4. Mai. Die sofort nachdrängenden Truppen der Deut- 
schen besetzten Gelände in der Tiefe von V2—3 Kilometern. 
Der Erfolg dieses kurzen deutschen Offensivstoßes war ein 
offensichtlicher; die Frontbreite war von 25 Kilometer auf 
13Kilometer verkürzt worden, das Gebiet, das der Feind öst- 
lich des Kanals besetzt hielt, war in seiner Tiefe von 9 Kilo- 
metern auf 5 Kilometer zusammengeschrumpft. Der „Sack" um 
Npern war um ein Bedeutendes enger geworden; die feind-- 
lichen Truppen und Stellungen dortselbst der konzentrischen Wir- 
kung der deutschen Artillerie noch mehr als bisher ausgesetzt. 
Lorettoschlacht. 
Nach den hartnäckigen Offensivversuchen im Winter und 
im Vorfrühling in der Champagne, bei Neuve-Chapelle und 
zwischen Maas und Mosel, die alle nach kurzen, krisenhaften 
Schwankungen in ein zähes Ringen ausliefen, aber zu keinem 
Ergebnis führten, sollte im Monat Mai der feindliche Haupt- 
stoß geführt werden, der nicht von begrenzten taktischen Gesichts- 
punkten sich leiten ließ, auch nicht zur Entlastung des bedrängten 
rusisschen Verbündeten angesetzt wurde, sondern der den strate- 
gischen Durchbruch im Großen plante. Es galt, dafür alle 
verfügbaren Kräfte an Mann und Material bereit zu stellen. 
So ergab sich von selbst als geeignetster Angriffspunkt die Stelle, 
wo die englische und die französische Armee sich berührten. 
Diesen Berührungspunkt bildete der Kanal von La Bassee. 
Das Gelände, das demnach für die Durchbruchsschlacht in 
Betracht kam, das Gebiet zwischen Lille und Arras, bct dem 
französifch-englischen Unternehmen auch noch eine Reihe an- 
derer wesentlicher Vorteile. Die Deutschen befanden sich hier 
nicht in sorgfältig ausgewählten Stellungen, sie hielten viel- 
mehr die Linien im wesentlichen so, wie sie sich aus dem Be- 
wegungskrieg im Herbst 1914 stabilisiert hatten. Da gab 
es natürlich auch so manchen schwachen Pnnkt. Die örtliche 
Beschaffenheit bot den deutschen Verteidigungsanlagen nur 
dürftige Unterstützung in dem offenen, weithin übersehbaren 
Gelände, das auch in seiner Fortsetzung den gleichen Charakter 
bewahrte, wodurch sich, falls der Durchbruch gelänge, die 
Aussicht eröffnete, im weiten, ebenen, hindernislosen Flach- 
seld höchst geeignetes Terrain zu finden für die offene Feld- 
schlacht, für eine glänzend vorgetragene Offensive. Im Abschnitt 
La Bassee—Arras waren besonders wichtig die Stellungen 
auf den östlichen Abhängen und Ausläufern des Höhenzuges, 
der die Tiefebene von Donai nach Westen hin abschloß. Die 
Deutschen hatten hier schon seit dem Oktober 1914 festen Fuß 
gefaßt und während der Wintermonate sich in harten Kämpfen 
um einige hundert Meter weiter vorgearbeitet. Die Stellungen 
klammerten sich eigentlich nur an den äußersten, letzten Zipfel 
dieses Höhenzuges, der zudem noch von beiden Seiten, im 
Norden wie im Süden, vom Feinde umfaßt war. Aus der 
allgemeinen Richtung Nord—Süd wendeten sich die Linien 
bei Angres scharf gegen Südwesten, liefen über die heißum- 
strittene Lorettohöhe zu den in zwei tiefen Bachgründen gelegenen 
stm. 163 
Orten Ablain und Carency und bogen von hier aus wieder 
gegen Südosten ab über Neuville, La Targette nach St. Lau- 
reut, der östlichen Vorstadt von Arras. Dieser Teil der Stel- 
lung folgte im allgemeinen der Einsenkung zwischen zwei Ter- 
rainwellen, deren westliche mit dem Mont St. Eloy, den Dör- 
fern Ecurie und Roclincourt die Franzosen inne hatten, während 
die östliche, von Souchez aus, zur Höhe La Folie ansteigend, 
zwischen den Orten Thelus und Bailleul wieder abfallend, sich 
im Besitze der Deutschen befand. 
Die Franzosen hatten die Vorbereitungen für den ge- 
planten Hauptstoß mit äußerster Umsicht getroffen, sehr geschickt 
wußten sie ihre Truppenverschiebnngen zu verheimlichen. Viele 
Tage hindurch durfte keine Patrouille die Gräben verlassen. 
Das schlechte Wetter zu Anfang des Monats Mai, das die 
Luftaufklärung lahm legte, begünstigte ihr Vorhaben. Das 
Heranführen großer Truppenmassen war nicht mit der ge- 
wünschten Deutlichkeit zu erkennen. Immerhin gab es An- 
zeichen, die dafür sprachen, und der deutschen Heeresleitung 
das Signal zu erhöhter Wachsamkeit gaben. 
Am 1. Mai begann die Kanonade und seit diesem Tage 
lag schweres Artilleriefeuer auf den deutschen Stellungen, 
besonders auf dem Abschnitt von der Lorettohöhe nach Süden 
bis gegenüber Roclincourt. Am Morgen des 9. Mai steigerte 
sich die Beschießung zu äußerster Heftigkeit. Auf die Gräben 
der Infanterie, die Beobachtungsstellen der Artillerie und in 
die Verbindungen nach vorne fiel Geschoß auf Geschoß. Eine 
schwarze, dicke Rauchwolke lag über den Gräben, in der unauf- 
hörlich der Feuerschein der platzenden Granaten rot aufblitzte, 
während Minenwürfe Erdschollen und Trümmer der weißen 
Kalkgesteine hoch in die Luft schleuderten. Der Feind begann 
seine Hindernisse wegzuräumen. Gegen 8 Uhr schweigt das 
Feuer wie auf einen Schlag. Und sofort eilen die Überlebenden 
der Grabenbesatzungen und die Unterstützungen aus der zweiten 
Linie an die Brustwehr, um den Jnfanterieangriffzu empfangen. 
Allein statt des erwarteten Sturmes folgt eine neuerliche, 
womöglich noch heftigere Beschießung der Artillerie. Abermals 
ist das ganze Gesichtsfeld in Qualm und Rauch gehüllt. Endlich, 
um 9 Uhr, sieht die Beobachtung von La Folie aus an einer 
zufällig etwas rauchfreien Stelle südlich von Carency die lange, 
dunkle Linie der vorgehenden französischen Angriffstruppen. 
Dicht nördlich der Scarpe kommt der Angriff bald ins 
Stocken. Haufen von Toten und Verwundeten bedecken das 
Gelände vor den deutschen Drahtverhauen. Im Abschnitt 
La Targette—Carency dagegen gelingt es den beiden an- 
stürmenden französischen Armeekorps und der in ihrem Ver- 
band fechtenden marokkanischen Division, die schwache Besatzung 
der zerschossenen, eingeebneten Stellung zu überrennen. Die 
zweite Stellung ist entblößt, ihre Bemannung war den Käme- 
raden vorne zu Hilfe geeilt. Vorgeschobene Geschütze vermögen 
den Ansturm nur vorübergehend aufzuhalten; er prallt weiter 
vor, die Höhe La Folie wird genommen, und von hier aus 
nähern sich die Feinde einerseits immer bedrohlicher dem Ost- 
absall des großen Höhenzuges, und dringen andrerseits auch 
gegen Norden vor, stürmen hinab in das Dorf Souchez. Eine 
Hand voll Bayern verteidigt den Südausgang und hält den 
Feind auf. Aber weiter westlich stürmt er weiter, über den 
Earencybach hinweg, nimmt Monlin—Malon, umschließt 
das Dorf Carency, gegen das bereits vom Süden und vom 
Westen her der Sturm tobt, nun auch von Osten und be-- 
droht den Südabhang der Lorettohöhe. Um die Mittagsstunde 
zeigt das Gefechtsbild einen äußerst kritischen Anblick: der 
französische Durchbruch scheint in der Richtung auf Vimy 
gelungen zu sein, und auch südlich davon, zwischen La Targette
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.