Die Periode der zwei Reiche (um yjo—720)
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seiner jungen Hofleute und wandte sich an das Volk mit den auf
reizenden Worten: »Mein Vater hat euch mit Geißeln gezüchtigt,
aber ich will euch mit Skorpionen züchtigen.« Diese Antwort em
pörte die Ephraimiten. Es erscholl der alte revolutionäre Ruf: »Wir
haben nicht Teil an David — zu deinen Zelten, Israel!« Der Fron
vogt Adoniram, der das Volk zu beschwichtigen suchte, wurde von
der Menge gesteinigt, und Rehabeam vermochte sich nur durch
eilige Flucht nach Jerusalem zu retten.
Daraufhin riefen alle nördlichen und transjordanischen Stämme,
nach der Tradition zehn an der Zahl, den aus Ägypten zurück
gekehrten Ephraimiten Jerobeam (oben, § 8) zu ihrem Könige aus.
Auf diese Weise zerfiel das große Reich Davids und Salomos nach
einem Jahrhundert der Einheit (um 930) in zwei selbständige König
reiche, in das größere nördliche Reich Israel oder Ephraim und das
kleinere südliche Reich Juda, das außer dem Stamme dieses Namens
die Benjaminiten, den schon seit langem in Juda aufgegangenen kleinen
Stamm Simeon sowie die Mehrheit der im ganzen Lande verstreuten,
den Priester stand bildenden Leviten umfaßte. Dieser Dualismus der
zwei Reiche sollte zwei Jahrhunderten der jüdischen Geschichte
(93°—720) den Stempel aufdrücken.
Der König des neu erstandenen Reiches Israel machte Sichern,
die Hauptstadt des zahlreichsten und mächtigsten unter den abge
fallenen Stämmen, zu seiner Residenz. Sobald er sich auf dem Throne
sicher fühlte, ging Jerobeam an eine Reform, die die nördlichen
Stämme nicht nur von Jerusalem als dem Sitz der Dynastie Davids,
sondern auch von dem allnationalen solomonischen Tempel loszu
reißen bezweckte. Durch den religiösen Zwiespalt sollte der poli
tische endgültig besiegelt werden. Schon längst waren die Israeliten
der mittleren und nördlichen Stämme mit der Konzentrierung des
Gottesdienstes in der weit entfernten judäischen Hauptstadt unzu
frieden. Die große Masse, die noch immer an den alten Geschlechts
und Lokalkulten hing, wollte ihr religiöses Heiligtum in nächster
Nähe haben und empfand überdies das Bedürfnis, die Gottheit in
einem greifbaren Bilde anzubeten. Diese Volksstimmung machte sich
nun Jerobeam zunutze und erhob statt Jerusalem Bethel an der
südlichen und Dan an der nördlichen Grenze seines Reiches in den
Rang der Heiligkeit. An Bethel knüpfte sich eine alte, mit dem
Namen des Patriarchen Jakob verbundene Volksüberlieferung, wäh
rend sich in Dan schon zur Richterzeit ein Orakel Jahves befand
(oben, § 4). So errichtete denn Jerobeam in diesen beiden Städten