Die babylonische Hegemonie (638—1099)
ligen Männer oder die verklungene Pracht Jerusalems und seines
Tempels und ergingen sich in bewegten Klagen über die Bitternis des
Exils. Als erster »Paitan« gilt Jose ben Jose, der, wie vermutet wird,
im 7. Jahrhundert in Palästina lebte. In den darauffolgenden Jahr
hunderten taten sich als religiöse Dichter Jannai und der von der
Nachwelt mit dem Ehrentitel »Fürst der Paitanim« gekrönte Eleasar
Kalir hervor. Die vielen Hymnen und Elegien des letzteren dürften
in Palästina, dem Geburtsland des Midrasch und auch der älteren
»Paitanim«, entstanden sein. Ein Übermaß an willkürlichen Wort
bildungen und Alliterationen, bizarre Reime und gelehrte Anspielun
gen auf das talmudische Schrifttum lassen allerdings die Verse des
Eleasar Kalir heute als überaus schwerfällig und abgeschmackt er
scheinen. Es ist daher trotz der gegenteiligen Annahme vieler Forscher
wenig wahrscheinlich, daß solche Meisterwerke der hebräischen
Dichtkunst wie die am Fasttag des 9. Ab in der Synagoge erklingen
den Elegien: »In dieser Nacht weinen und wehklagen meine Kinder«
oder »Um jene Zeit, da Jeremia über die Gräber der Ahnen schritt«,
derselben Feder entstammen. Nachdem sich der »Piut«, ungeachtet
des Widerstrebens mancher Hüter der Tradition, in der synagogalen
Liturgie einen Platz neben der Predigt erobert hatte, entfaltete sich
diese Art von Poesie immer üppiger und sollte im Westen, in den
Schöpfungen der großen Dichter der spanischen Schule, den Gipfel
der Vollkommenheit erreichen.
Im Abendlande erstanden der nationalen Kultur, deren morgen
ländische Hochburgen in Zerfall begriffen waren, neue festgefügte
Zentren, aufgebaut aus den ehedem nur lose miteinander verbunde
nen Kolonien. Während im 11. Jahrhundert der jüdische Orient all
mählich erstarrt und in tausendjährigen Schlaf versinkt, wird die
Judenheit Europas, der »Neuen Welt« des frühen Mittelalters, zum
Kern der Nation und zum Sammelbecken ihrer kulturellen Schaffens
energien. Damit gelangt die orientalische Periode der jüdischen Ge
schichte zu ihrem Abschluß, und eine neue, die abendländische oder
europäische Periode, bricht an.
Ende des ersten Bandes