Die babylonische Hegemonie (638—1099)
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scharenweise den das Mittelmeer unsicher machenden arabischen
Piraten in die Hände fielen, um jeden Betrag loszukaufen. Schon
die Erfüllung dieser Aufgaben allein machte die organisatorische
Vereinigung sämtlicher Gemeinden im Nillande erforderlich. Die
ersten Kalifen aus dem Fatimidenhause hinwiederum legten Wert
darauf, daß die ägyptische Judenheit an ihrem Hofe in ähnlicher
Weise offiziell vertreten war wie bei ihren Rivalen in Bagdad.
Äußere und innere Ursachen führten so dazu, daß die Juden Ägyp
tens ein Oberhaupt erhielten, dessen Stellung ungefähr der des baby
lonischen Exilarchen entsprach. Um die Mitte des 11. Jahrhunderts
wurde es üblich, den ägyptischen Exilarchen den hebräischen Ehren
titel »Nagid« (etwa soviel wie »der Großmächtige«) beizulegen. Die
ersten Negidim waren Hofbankiers vom Schlage der Brüder Al-Tu-
stari, oder Leibärzte des Kalifen. Leibarzt war auch der Nagid
Meborach, der dreißig Jahre lang (1080—1110) am Hofe zu Kairo
die jüdischen Interessen wahrnahm.
Die geistige Führung des Volkes hatten indessen in Ägypten, wie
ehedem in Babylonien, nicht die Negidim, sondern die Gelehrten
inne, die die gaonäische Tradition weiterführten. Der erste in der
Reihe dieser Volksführer war Schemaria ben Elchanan (970—1011),
das Haupt der Jeschiba von Kairo-Fostat, ein Zögling der Akademie
von Pumbadita, mit deren letzten Leitern Scherira und Hai er in
ständiger Fühlung blieb. Als die Juden von Kairo ihrem Oberrabbi
ner Schemaria das letzte Geleit gaben, kam es in der Stadt zu schwe
ren antijüdischen Ausschreitungen, wohl eine Folge der vom Kalifen
Al-Hakim heraufbeschworenen Verfolgungen.
Unter dem Nachfolger Schemarias, seinem Sohne Elchanan (1012
—1026), sollte die Akademie von Kairo besseren Zeiten entgegen
geführt werden. Mittlerweile machte Palästina seinen Anspruch auf
die nationale Hegemonie geltend, auf die es gleichsam ein Erbrecht
zu besitzen glaubte. Unter der Leitung des hochgelehrten und tat
kräftigen Salomo ben Jehuda ha Kohen (um 1025—1051), der den
herrenlos gewordenen Titel »Gaon« annahm, trat in Jerusalem um
die Mitte des 11. Jahrhunderts ein kleines Synhedrion in Wirksam
keit, das einmal im Jahre, am Laubhüttenfest, vor dem auf dem öl
berg versammelten Volke Entscheidungen von allnationaler Bedeu
tung zu verlautbaren pflegte. Etwas später, ein Jahrzehnt nach dem
Erlöschen des Exilarchats in Babylonien, erstand in Palästina auch
das Patriarchat zu neuem Leben: der dem Exilarengeschlecht ange
hörende Daniel ben Asarja wurde zum »Nassi« ausgerufen (1051—