§ 36. Die Literatur in Judäa und der Diaspora
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aufgenommene griechische Übersetzung erhalten geblieben. Das einer
ausgesprochenen religiösen Färbung ermangelnde und nach dem Nie
dergang der Hasmonäerdynastie seiner ursprünglichen Bedeutung
verlustig gegangene Werk blieb aus dem Bibelkanon ausgeschlossen
und geriet unter die sogenannten »verborgenen Bücher« oder Apo
kryphen (oben, §31). Aus diesem Grunde ging wohl auch sein
hebräischer Urtext spurlos verloren.
Auch in dieser Zeit tritt der Historiographie die historische
Novelle zur Seite, die auf erdichtetem geschichtlichem Hintergrund
das heldenmütige Eintreten Einzelner für Glaube und Volkstum dar
stellt. Eine solche Novelle ist das kleine apokryphische »Buch
Judith«, das sich gleichfalls nur in griechischer Übersetzung erhalten
hat. Es wird darin erzählt, wie die keusche Judith, eine fromme
und von Vaterlandsliebe beseelte: Jüdin, ihre von dem assyrischen
Feldherrn Holofernes belagerte Heimatstadt errettet: sie schleicht
sich in das feindliche Lager, wird in das Zelt des Holofernes geführt,
bezaubert diesen durch ihre Schönheit und heuchelt Ihm Liebe; als
Holofernes dann einschläft, schlägt sie ihm das Haupt ab. Durch
den Tod des Holofernes entsteht unter den Belagernden Verwirrung
und Entsetzen, und das verhilft den Juden zum Siege. Der didak
tische Grundgedanke des von Anachronismen strotzenden Buches ist
der, daß auch das mächtigste heidnische Heer gegen die geistige
Macht des seinem Gesetze treu ergebenen jüdischen Volkes nichts
auszurichten vermag. Durch Erinnerungen an die Heldentaten aus
der Zeit des Hasmonäeraufstandes angeregt und wohl von einem
Pharisäer der darauffolgenden Epoche verfaßt, klingt die Novelle
in die triumphierenden Worte der Judith aus: »Wehe den Völkern,
die sich erheben gegen mein Volk; der Herr, der Allmächtige, wird
sie strafen am Tage des Gerichts« (16, 20).
Wird in dem »Buche Judith« die nationale Heldentat verherr
licht, so ist das Thema der demselben Apokryphenzyklus angehören
den Novelle »Tobit« der Heldenmut auf dem Felde individueller
Sittlichkeit. Es ist anzunehmen, daß auch dieses Buch ursprünglich
hebräisch abgefaßt war, doch liegen uns lediglich verschiedene Über
setzungen und Tochterübersetzungen vor. Die Handlung spielt in
der Diaspora. Der vom assyrischen König nach Ninive gebrachte
israelitische Gefangene Tobit vollbringt auch in der Fremde Werke
der Frömmigkeit und Barmherzigkeit: er genießt nicht von der
»Speise der Heiden«, teilt Brot und Kleidung mit seinen hungrigen
und nackten Brüdern und trägt insbesondere Sorge für die Bestattung