Das unabhängige Judäa unter den Hasmonäern
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Pharisäer, diese Legisten des alten Judäa, stets als die maßgebenden
Gesetzesausleger an. Waren die Sadduzäer in der Außenpolitik aus
schlaggebend, so gewannen die Pharisäer umso größeren Einfluß auf
das innere Leben des Volkes und auf seine geistige Kultur.
Während nun die Sadduzäer der Religion nur einen schmalen
Winkel im Staatsleben einräumten und die Pharisäer Religiosität und
Staatlichkeit zu einer unlösbaren Einheit zu verbinden suchten, ent
stand gegen Ende der Hasmonäerepoche als Reaktion gegen den
politischen und kulturellen Parteienkampf eine dritte, apolitische
Organisation, eine Sekte, deren mystisch eingestellte Anhänger, durch
die stürmischen Zeitereignisse zutiefst aufgewühlt, die Staatlichkeit
als solche verdammten und ganz von dem individualitischen Streben
nach Erlösung der Seele erfüllt waren. Diese Sektierer, die sich
Essäer (wohl vom aramäischen »Chassaio«, d. i. »Chassidäer«) nann
ten und deren Zahl selbst in der Zeit der höchsten Blüte der Sekte,
im i. Jahrhundert der christlichen Ära, 4000 nicht überstieg, hatten
das Ideal der alten »Nasiräer« (oben, § 10) zu neuem Leben erweckt.
Sie verwarfen nicht nur das Leben der Städter, sondern auch die
Städte selbst, die ihnen als Brutstätten des Lasters erschienen, und
lebten in abgesonderten Gemeinden oder Brüderschaften, vornehm
lich im Steppengebiet am Toten Meere. Die Organisation der Essäer,
die eine Art Mönchsorden darstellte, war auf dem Prinzip strengster
Unterordnung aller Mitglieder unter die Häupter oder »Ältesten«
der Brüderschaft aufgebaut. Voraussetzung für die Aufnahme in die
Sekte war ein dreijähriges Noviziat. Das soziale Leben der Sektierer
war nach kommunistischen Prinzipien eingerichtet. Unter den Mit
gliedern der Essäergemeinde gab es weder Reiche noch Arme. Jedes
Mitglied lieferte seine gesamten Einkünfte an die Gemeindekasse ab,
aus der der Unterhalt der Brüderheime sowie die Ausgaben für die
gemeinsamen Mahlzeiten und die Kleidung bestritten wurden. Alle
Ordensbrüder hatten die gleiche einfache Tracht aus weißem Stoff.
Jeder mußte durch körperliche Arbeit zum gemeinsamen Lebens
unterhalt beitragen. Dienstboten oder Sklaven gab es in der Ge
meinde nicht. Die Essäer trieben vorwiegend Ackerbau und Hand
werk, wohingegen ihnen der Handel als eine die Habsucht fördernde
Betätigungsart untersagt war. Verboten war aus Gründen der Men
schenliebe auch die Anfertigung von Waffen. Die Mehrzahl der
Essäer entsagte der Ehe, und auch diejenigen, die das nicht taten,
hielten das eheliche Leben für sündhaft und ließen es nur um der
Kinderzeugung willen gelten.