Volltext: Die orientalische Periode in der Geschichte des jüdischen Volkes (1 ; 1937)

Das unabhängige Judäa unter den Hasmonäern 
Hölle, Paradies u. dgl.) nahmen denn auch die Pharisäer, im Gegen 
satz zu den formalistisch eingestellten Sadduzäern, dieses Dogma 
in das System des Judaismus auf. Bezeichnend für die Weltanschau 
ung der Pharisäer ist ferner der von ihnen angestrebte Ausgleich 
zwischen dem Prinzip der Willensfreiheit und dem der Prädestina 
tion — ein Kompromiß, durch das dem Menschen die Verantwor 
tung für seine Handlungen auferlegt, zugleich aber auch die göttliche 
Vorsehung nicht ausgeschaltet werden sollte. 
Laut Bericht des Josephus Flavius konnten die Pharisäer sich ähn 
licher moralischer Vorzüge rühmen wie die »griechischen Stoiker«. 
Diese Feststellung ist insofern nicht ganz zutreffend, als die erhaben 
sten Leitprinzipien des Stoizismus: Pflichtbewußtsein, Streben nach 
sittlicher Vollkommenheit, Bezähmung der niederen Triebe und Stand 
haftigkeit im Leiden, schon lange vor dem Auftreten der Pharisäer 
wie auch der Stoa für die jüdische Ethik bezeichnend gewesen waren. 
Neu war im Pharisäertum lediglich die untrennbare Verbindung der 
sittlichen Zucht mit der religiösen und rituellen. Gewiß gab es auch 
in den Reihen der Pharisäer Scheinheilige und Mucker, die soge 
nannten »Zewuim« (Gefärbten), die das ganze Pharisäertum bei der 
Nachwelt in Verruf bringen sollten; die harmonische Vermählung 
von Frömmigkeit und Gerechtigkeit aber, wie sie in den berufensten 
Vertretern dieser geistigen Bewegung verkörpert war, mußte jedem 
Unvoreingenommenen tiefste Bewunderung einflößen. 
Der hervorragendste Wortführer der Pharisäerpartei im Anfangs 
stadium ihrer Entwicklung war der schon erwähnte Simon ben 
Schetach (oben, § 33). Ein Meister der Gesetzeskunde, brachte er 
die sadduzäische Mehrheit im Synhedrion oft dadurch in Verlegen 
heit, daß er seine Gegner aufforderte, die Ableitung dieser oder jener 
Gesetzesbestimmung aus der Thora zu begründen. Auch dem könig 
lichen Sadduzäer Alexander-Jannäus sagte er furchtlos die Wahr 
heit, sodaß er ständig in Gefahr schwebte. Nachdem er unter Salome- 
Alexandra zum Haupte des Synhedrion geworden war, richtete 
Simon im Namen der »heiligen Gemeinde Jerusalems« ein Schreiben 
an die »Schwester Alexandrien«, d. i. die dortige Gemeinde, mit der 
Bitte, seinen alten Kampfgenossen Juda ben Tabai, der vor den Ver 
folgungen des Alexander-Jannäus nach Ägypten hatte flüchten müs 
sen, in die Heimat zu entlassen: »Mein Gemahl — schrieb er — ist 
bei dir, und ich sitze hier vereinsamt.« Nach der Heimkehr Judas 
trat ihm Simon seine Würde als Vorsitzender des Synhedrion ab und 
begnügte sich mit dem bescheideneren Amte des Vizepräsidenten. 
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