Volltext: Die orientalische Periode in der Geschichte des jüdischen Volkes (1 ; 1937)

§ 2$. Religiöse Lyrik, religiöse Philosophie und Lebensweisheit 
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innere Umkehr können die verderblichen Folgen böser Taten ab 
gewendet werden, denn die Liebe Gottes zur Kreatur, zu den Men 
schen jeglichen Stammes und selbst zu den Tieren ist mächtiger als 
die Strenge der göttlichen Gerechtigkeit. Aus der Tatsache, daß das 
»Buch Jona« uns als ein Bestandteil des prophetischen Schrifttums 
überliefert ist, geht hervor, daß es spätestens in der Zeit der per 
sischen Herrschaft verfaßt worden ist, da der endgültige Abschluß 
des prophetischen Teiles der Bibel eben in diese Zeit fällt. 
Um die Wende des IV. vorchristlichen Jahrhunderts war somit 
der Kern des biblischen Kanons, der später zu einem einheitlichen 
Ganzen zusammengefaßten Heiligen Schrift, bereits voll ausgebildet. 
Aus »Gesetz und Propheten« mit Einschluß der älteren Geschichts 
bücher sich zusammensetzend, stellte er die offiziell anerkannte, 
»kanonisierte« Auswahl aus dem nationalen Schrifttum dar. So 
wurde durch die Soferim der heiligste Schatz des Volkes, der der 
einst zu einer Quelle der Belehrung für die gesamte Menschheit wer 
den sollte, in ein unantastbares Gut verwandelt, und das führte den 
Judaismus, bis dahin für viele ein Gegenstand blinden Glaubens, 
auf den Weg forschender Erkenntnis. Die Frömmigkeit fand in der 
Wissenschaft ihren Stützpunkt. Das den breiten Massen des Volkes 
zugänglich gewordene nationale Schrifttum untergrub die Herrschaft 
des ehedem dank seinem geheimgehaltenen Wissen allmächtigen 
Priesterstandes. Zu unermüdlicher Gedankenarbeit anregend, stählte 
der Judaismus den Geist der jüdischen Nation und verlieh ihr jene 
zähe Energie des Denkens, die zu ihrem hervorstechendsten Charak 
terzug werden sollte. 
§ 25. Religiöse Lyrik, religiöse Philosophie und Lebensweisheit 
Mit der Sammlung und Erforschung der aus der Vorzeit über 
lieferten geistigen Reichtümer ging die Schaffung neuer Werte Hand 
in Hand. Dem Schriftgelehrten traten der Dichter und der Weise 
an die Seite, wobei Dichtkunst und philosophische Weisheit nach 
wie vor mit der religiösen Weltanschauung aufs engste verknüpft 
blieben: in der religiösen Lyrik fanden die tiefsten seelischen Re 
gungen ihren Ausdruck, und die schwierigsten Weltprobleme wurden 
zum Inhalt der religiösen Philosophie. 
Die Hauptform der religiösen Lyrik, der Psalm, war kein aus 
schließliches Besitztum Israels. Wie weit die uns in der biblischen
	        
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