§44- D as innerjüdische Lehen in Deutschland im Zeitalter der Reformation
gleichen Gründen wie in Italien (oben, § 36) für das jüdische Schrift
tum eine rabbinische Vorzensur eingeführt. Die Frankfurter Kon
ferenz hatte eine höchst charakteristische Episode im Gefolge. Ein
übel beleumundeter Schächter zeigte nach einem mißlungenen Er
pressungsversuch die Veranstalter der Zusammenkunft bei den Be
hörden als staatsgefährliche Verschwörer an. Die auf Befehl Kaiser
Rudolfs II. eingesetzte Untersuchungskommission mußte jedoch fest
stellen, daß die Konferenzmitglieder sich durchaus in den Grenzen
der den Juden eingeräumten Autonomie gehalten hatten (1606). Das
Auftreten eines böswilligen Denunzianten aus der eigenen Mitte der
Juden stellte eine keineswegs zufällige Erscheinung dar und hing
mit den Grundübeln des Ghettodaseins zusammen. Weit davon ent
fernt, ein homogenes Ganzes zu sein, zerfiel die oligarchisch ver
waltete Ghettogemeinde in eine Art Patriziat und eine Plebs, zwi
schen denen nicht selten ein Abgrund klaffte. Gleichwie die christ
lichen Zünfte von Frankfurt sich gegen die städtische Oligarchie
auflehnten, so kämpften dort auch die unbemittelten Ghettoinsassen
jahrelang um das Recht, in der Gemeindeleitung mitvertreten zu
sein. Erst während des Dreißigjährigen Krieges vermochten sie eine
Reform durchzusetzen, die indessen nur darin bestand, daß an Stelle
des sogenannten »Zehner-Rates«, der zehn von den wohlhabendsten
Ghettobewohnern auf Lebenszeit gewählten Gemeindehäupter, ein
»Rat der Zwölf« trat, der alle drei Jahre zur Hälfte neu gewählt
werden sollte, aber immer noch lediglich von denjenigen, die min
destens tausend Gulden zu versteuern hatten oder einen Gelehrtentitel
besaßen.
Wenn in mancher Gemeinde die Spannung im Innern nicht in
einen erbitterten Parteikampf ausartete, so lag das an dem Druck
von außen, der die Gemeindeautonomie als solche gefährdete. Dies
war z. B. in Prag der Fall, wo Magistrat und Krone lange Zeit hin
durch die Jurisdiktion über das Judenviertel einander streitig mach
ten; jede der beiden Instanzen beanspruchte das Recht, die »Juden
ältesten«, die Mitglieder des Gemeinderates, zu ernennen oder nach
erfolgter Wahl im Amte zu bestätigen. In diesem Kampf behielt
schließlich der Kaiser und seine »Böhmische Kammer« die Ober
hand. Als im Jahre 1578 sechs Prager Rabbiner im Widerspruch zu
der geltenden Wahlprozedur den amtierenden Gemeinderat absetz
ten und an seiner statt einen neuen bestellten, stellte Kaiser Ru
dolf II. durch ein besonderes Dekret die verletzte Ordnung wieder
her. Die Kompetenz desr Prager Gemeinderates erstreckte sich, wie
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