§ iy. Die Vertreibung im Jahre i jc6
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»Das Buch Josephs des Eiferers«, zeugen ebenso von dem Geist und
Witz der jüdischen Disputanten als auch davon, daß sie in der Pole
mik mit ihren Widersachern sich durchaus kein Blatt vor den Mund
nahmen. Als ein katholischer Priester Rabbi Nathan einmal fragte,
weshalb der jüdische Kultus kein Glockengeläut kenne, erhielt er die
Antwort: »Wer gute Ware anzubieten hat, kann sich das Anpreisen
sparen«. Dem Hinweis eines hochmütigen Gegners, daß es zur
Knechtung der Juden nicht ohne den Willen Gottes habe kommen
können, begegnete Nathan mit den stolzen Worten: »Zwar tragt ihr
kein fremdes Joch, und kein Stock schlägt euch auf den Rücken,
doch seid ihr selbst nichts als ein niedersausender Stock: euer Werk
zeug ist das Schwert, euer Handwerk der blutige Krieg«. Die Schlag
fertigkeit der jüdischen Opponenten und die Überzeugungskraft
ihrer Argumente veranlaßten Papst Gregor IX. Religionsgespräche
mit Juden durch eine besondere Bulle gänzlich zu untersagen (1223).
Mittlerweile suchte aber die katholische Geistlichkeit das Waffen
lager ausfindig zu machen, dem die »Feinde Christi« ihr Rüstzeug
entnahmen, und entdeckten es schließlich im Talmudtext. So wurde
denn dem Talmud der Prozeß gemacht.
Im Jahre 1239 überreichte der Dominikaner Nikolaus Donin, ein
getaufter Jude, Papst Gregor IX. eine Denkschrift, in der er den
Talmud als ein Christus schmähendes und jede Untat gegen »Gojim«
gestattendes Werk denunzierte. Daraufhin wurde auf Verfügung des
Papstes in Paris ein Ermittlungsverfahren eingeleitet: man zog bei
den dortigen Juden alle Talmudexemplare ein; eine aus dem Pariser
Erzbischof, einem Vertreter der »heiligen Inquisition« und dem Uni
versitätskanzler Odon bestehende Prüfungskommission arbeitete mit
Hilfe des Überläufers Donin eine eingehende Anklageschrift aus, und
jüdische Gelehrte wurden auf gef ordert, in einer öffentlichen Ver
handlung Rede und Antwort zu stehen. Die Disputation, in der
die Sache des Judentums neben anderen rabbinischen Größen Rabbi
Jechiel aus Paris und Rabbi Moses aus Coucy vertraten, fand in der
Hauptstadt Frankreichs am 12. Juni 1240 statt. Da die meisten der
von, der Kommission beanstandeten Stellen, wie etwa die Anspielung
auf die außereheliche Geburt Jesu Christi, den aggadischen Partien
des Talmud entnommen waren, hätten dessen Verteidiger vor allem
den unverbindlichen Charakter der Aggada betonen müssen. Die
glaubenseifrigen Rabbiner aus der Tossafistenschule suchten jedoch
statt dessen den Nachweis zu erbringen, daß die inkriminierten Wen
dungen sich nicht auf den christlichen Heiland bezögen. Umso leich