Volltext: Die europäische Periode in der Geschichte des jüdischen Volkes (2 ; 1937)

§ iy. Die Vertreibung im Jahre i jc6 
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»Das Buch Josephs des Eiferers«, zeugen ebenso von dem Geist und 
Witz der jüdischen Disputanten als auch davon, daß sie in der Pole 
mik mit ihren Widersachern sich durchaus kein Blatt vor den Mund 
nahmen. Als ein katholischer Priester Rabbi Nathan einmal fragte, 
weshalb der jüdische Kultus kein Glockengeläut kenne, erhielt er die 
Antwort: »Wer gute Ware anzubieten hat, kann sich das Anpreisen 
sparen«. Dem Hinweis eines hochmütigen Gegners, daß es zur 
Knechtung der Juden nicht ohne den Willen Gottes habe kommen 
können, begegnete Nathan mit den stolzen Worten: »Zwar tragt ihr 
kein fremdes Joch, und kein Stock schlägt euch auf den Rücken, 
doch seid ihr selbst nichts als ein niedersausender Stock: euer Werk 
zeug ist das Schwert, euer Handwerk der blutige Krieg«. Die Schlag 
fertigkeit der jüdischen Opponenten und die Überzeugungskraft 
ihrer Argumente veranlaßten Papst Gregor IX. Religionsgespräche 
mit Juden durch eine besondere Bulle gänzlich zu untersagen (1223). 
Mittlerweile suchte aber die katholische Geistlichkeit das Waffen 
lager ausfindig zu machen, dem die »Feinde Christi« ihr Rüstzeug 
entnahmen, und entdeckten es schließlich im Talmudtext. So wurde 
denn dem Talmud der Prozeß gemacht. 
Im Jahre 1239 überreichte der Dominikaner Nikolaus Donin, ein 
getaufter Jude, Papst Gregor IX. eine Denkschrift, in der er den 
Talmud als ein Christus schmähendes und jede Untat gegen »Gojim« 
gestattendes Werk denunzierte. Daraufhin wurde auf Verfügung des 
Papstes in Paris ein Ermittlungsverfahren eingeleitet: man zog bei 
den dortigen Juden alle Talmudexemplare ein; eine aus dem Pariser 
Erzbischof, einem Vertreter der »heiligen Inquisition« und dem Uni 
versitätskanzler Odon bestehende Prüfungskommission arbeitete mit 
Hilfe des Überläufers Donin eine eingehende Anklageschrift aus, und 
jüdische Gelehrte wurden auf gef ordert, in einer öffentlichen Ver 
handlung Rede und Antwort zu stehen. Die Disputation, in der 
die Sache des Judentums neben anderen rabbinischen Größen Rabbi 
Jechiel aus Paris und Rabbi Moses aus Coucy vertraten, fand in der 
Hauptstadt Frankreichs am 12. Juni 1240 statt. Da die meisten der 
von, der Kommission beanstandeten Stellen, wie etwa die Anspielung 
auf die außereheliche Geburt Jesu Christi, den aggadischen Partien 
des Talmud entnommen waren, hätten dessen Verteidiger vor allem 
den unverbindlichen Charakter der Aggada betonen müssen. Die 
glaubenseifrigen Rabbiner aus der Tossafistenschule suchten jedoch 
statt dessen den Nachweis zu erbringen, daß die inkriminierten Wen 
dungen sich nicht auf den christlichen Heiland bezögen. Umso leich
	        
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