Volltext: Stephan Rottaler

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spröden hart zu zwingenden Stoffe und der zeitraubenden Technik sich abgekehrt 
haben, um diese kleinen Gebilde mit leichterer Mühe in den weichen Sandstein 
— man dulde den Ausdruck — mehr schneiden denn meißeln zu können. Ge¬ 
wiß hat die spätmittelalterliche Plastik Altbayerns derartige Kleinbildnerei auch 
in Marmor getrieben. Erasmus Grasser arbeitet ähnlich die köstliche Umrahmung 
seines Aresinger Steines in der Peterskirche in München, Wolfgang Leb schmückt 
mit Heiligenfigürchen die Architektur der Platte des Hochgrabes in Ebersberg 
und Bischof Tulpeks Ornat auf seinem Grabstein in der Münchener Frauenkirche 
prunkt mit zierlich in den Stein gemeißelten Stickereien. Aber das alles ist nur 
dekoratives Beiwerk und dementsprechend nur mit flüchtigen Hieben angedeutet. 
Hier dagegen sind die Figürchen um ihrer selbst willen da; sie werden sogar 
eines dekorativen Rahmens erst noch gewürdigt, damit gehoben und hervor¬ 
gehoben. Wie hätte der Meister all diese Feinheiten und Zierlichkeit in dem 
widerspenstigen Marmor zwingen können ohne erheblichen Zeitaufwand und ohne 
die ständige Gefahr, Stücke loszusprengen. Lag es also nicht nahe, den ge¬ 
fügigeren weichen Sandstein für die subtile Aufgabe der Flügel vorzuziehen?! 
Aus dem verschiedenen Material den Schluß ziehen zu wollen, daß die Teile 
nicht zusammengehören, erscheint aber noch deshalb untunlich, weil doch das 
Ganze als Altar gedacht und bezeichnet ist. Einen steinernen Altar sollte der 
Meister fertigen ähnlich jenen mittelalterlichen, auf deren Flügeln die Figuren 
auch immer kleiner sind als im Gehäuse. Zweifellos hatte Marolt selber ein ge¬ 
naues Programm, ein Szenarium für alle darzustellenden Personen und Episoden 
aufgestellt. 
Erklärt sich nun die Wahl des Sandsteins für die Flügel aus der beabsich¬ 
tigten Klein- und Feinheit der Figuren und der Zierlichkeit des architektonischen 
Beiwerks, so bleibt immer noch die Frage offen, ob der Meister zu diesem Wechsel 
des Stils in den Flügeln, der ihm einen Wechsel des Materials nahelegte, aus 
einem inneren Bedürfnis oder durch äußere Veranlassung kam. Wenn wir an 
der Schöpfung des Altars durch eine Hand festhalten, so müssen wir unbedingt 
das letztere annehmen, denn die verschiedene Auffassung und Empfindung in den 
Figuren setzt dies geradezu als Bedingung voraus. Der Meister mußte neue Ein¬ 
drücke in sich aufgenommen und sich ihnen willig gefügt haben. Für die Flügel 
in ihrer Gesamtanlage läßt sich nun zwar ein Vorbild nicht nachweisen,1 doch 
können wir für ihre Einzelheiten ein Abhängigkeitsverhältnis belegen. Kein 
schwächlicher Nachgeborner konnte dafür in Frage kommen, sondern ein Vor¬ 
wärtsschauender, ein Starker, ein Großer. Und der Größte, der jener Zeit und 
der deutschen Kunst je gegeben ward, stand denn auch bei diesem Werke Pate: 
Albrecht Dürer. 
Fürs Erste entlehnte unser Steinmetz die Gestalten der beiden Apostelfürsten 
des Meisters Holzschnitt „Das Schweißtuch Christi“ von 1510 (B. 38) aus der 
kleinen Passion (Abb. 3). Die allgemeine Auffassung der beiden Figuren und die 
Tätigkeit der Hände bezeugen unzweideutig die Abhängigkeit der Figürchen von 
1 Man wird nur im allgemeinen, ähnlich etwa wie bei dem „Altar der schönen Maria“ von 
Albrecht Altdorfer (B. 50) an venezianische Grabdenkmäler erinnert.
	        
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