Volltext: Stephan Rottaler

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völlig frei hält der Meister sich von der pathetischen Art seines Kreises, aber 
er mäßigt sie. Irre ich nicht, so hat den Meister von allem Anfänge an Dürers 
plastisches Wesen vor jenen malerisch-manierierten Uebertreibungen, die ihren 
Ausgang in einem überhitzten Streben nach Naturalismus hatten, bewahrt; andern- 
teils konnte wohl auch die mehr an den Steinmeißel gewöhnte schwere Hand 
das Schnitzmesser nicht in so wirbelndem Faltenschwung führen. Es ist das 
umgekehrte Verhältnis, wie bei Matthäus Kreniß, dessen ausgeprägter Holzschnitz¬ 
stil sich auch deutlich in seinen Marmorarbeiten widerspiegelt. Diese Zügelung 
aber läßt Rottalers Werke fortschrittlicher und reiner erscheinen. In ihrer Ab¬ 
klärung und Geschlossenheit kommen sie dem Renaissance-Gedanken entschieden 
näher als die Schöpfungen seiner heimischen Zeitgenossen. 
Auch das kompositionell-räumliche Empfinden trennt Stephan Rottaler von 
Hans Leinberger. Beide Meister wecken unwillkürlich Erinnerungen an Albrech* 
Altdorfer, nach direkten Herübernahmen aber wird man vergebens suchen. Nur 
in einem Falle konnte ich bis jetzt bei einem Stilverwandten Leinbergers die un¬ 
mittelbare Benutzung eines Holzschnittes von Altdorfer in Altbayern nachweisen.1 
Aus einigen allgemeinen Anklängen einen tiefgehenderen Einfluß des Regensburger 
Meisters auf diese Landshuter Gruppe zu konstruieren, möchte ich aber, was räum¬ 
liche Komposition anlangt, nicht wagen. Das Streben nach dem Dreidimensionalen 
war der altbayerischen Kunst, vor allem der Malerei, zu tief schon seit Jahrzehnten 
eingewurzelt, als daß es noch äußerlicher Einflüsse bedurft hätte, den einmal 
eingeschlagenen Weg weiter fortzuschreiten. Cranachs gewaltige Kreuzigung von 
1503 aus Kloster Attel am Inn1 2 und der Passions-Altar von 1511 in Altmühl¬ 
dorf3 erstehen hier als mächtige Zeugen für den „Donaustil“ in Altbayern. 
Leinbergers Beweinung Christi im Kaiser-Friedrich-Museum in Berlin re¬ 
präsentiert die Plastik dieser „Altdorferrichtung“ mit ihrer räumlichen Vertiefung 
am sinnenfältigsten, so daß es schwer fällt, in der entschieden mehr mittelalter¬ 
lich-gedrängt inszenierten Castuluslegende des Moosburger Hochaltars den gleichen 
Regisseur zu erkennen. Hier herrscht noch ganz der horror vacui der Spätgotik, 
und nur bei den beiden Szenen des Martyriums weitet sich der Flächencharakter 
der Komposition zu einer mehr angedeuteten als gelösten Tiefenwirkung. Es ist 
ungefähr das gleiche Stadium wie bei den altertümlicheren oberen Teilen der 
Reisbacher Flügel. Schon die unteren Teile derselben zeigen hier einen bedeu¬ 
tenden Fortschritt im räumlichen Denken, das sich bei Rottaler in der Taufe 
Christi des Landshuter Museums am meisten entwickelt hat. Aber auch an dem 
zugehörigen Schutzmantelbild tritt es, wenn auch unauffällig, zutage in den kleineren 
Figürchen des Hintergrundes, die wie auf einem Schwarzweißblatt nur mit wenigen 
präzisen Strichen mehr zeichnerisch als plastisch hingesetzt sind und durch den 
skizzenhaften Vortrag räumlich zurücktreten. Mit diesem Betonen räumlicher 
1 Vgl. Richard Hoffmann, Die Kunstaltertümer im erzbischöflichen Klerikalseminar zu Frei¬ 
sing (1907), S. 41. Nr. 140. Dem dort aufgeführten Flachrelief einer Vision des Propheten Ezechiel 
liegt Albrecht Altdorfers Holzschnitt B. 4 zugrunde. 
2 Katalog der Gemäldegalerie im K. Schlosse zu Schleißheim 1905. Nr. 181. 
8 K. D. B. I, 2147 ff. u. Taf. 253. Flügel und Predella sind nunmehr wieder vereinigt.
	        
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