Volltext: Drama und Theater in Österreich ob der Enns bis zum Jahre 1803

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und bunten Bildwerken geschmückt ist. Es erscheinen nun im hell¬ 
erleuchteten Chore die Brüder von St. Florianshus und beginnen 
das Offizium. Nach Vollendung der Terz gehen sie alle in feier¬ 
licher Prozession mit Lichtern zum heiligen Grabe, darunter sechs 
Mönche, welche sonderbar gekleidet sind: einer wie ein Engel — 
ein junger Diakon in weißem Festgewände — zwei ältere Chorherrn 
als Apostel und wieder drei jüngere — die drei Frauen am Grabe. 
Sie nehmen ihre Plätze ein. Nun beginnt der ludus paschalis. Die 
drei heiligen Frauen gehen mit Räucherwerk zum Grabe und stellen 
die bekannte Schwermutsfrage: Wer wird uns den Stein wegwälzen? 
Da bemerken sie den Engel und erschrecken. Doch seine sanfte 
Stimme ruft ihnen ermutigend zu: Erschrecket nicht! Ihr sucht 
Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist 
nicht hier. Er zeigt sodann in das geöffnete Grab mit den Worten: 
Sehet den Ort, wohin sie ihn gelegt haben! 
Trauernd und angstvoll gehen die heiligen Frauen vom 
Grabe fort. 
Auf dem Heimwege begegnen sie den Aposteln und erst auf 
die dreimalige Frage derselben verraten sie, daß sie das Grab des 
Auferstandenen gesehen hätten. Eilends begeben sich nun die zwei 
Apostel zum Schauplatze des Wunders, überzeugen sich von der 
Tatsache der Auferstehung, und indem sie, gegen Klerus und Volk 
gewendet, das Schweißtuch emporheben, rufen sie frohlockend: Sehet, 
o Genossen, hier die Linnen und das Schweißtuch! Der Chor singt 
nun die Antiphone „Christus resurgens“, das Volk aber „Christ 
ist erstanden“. Der Klerus begibt sich wieder in den Chor zurück 
und ein jubelndes Tedeum beschließt die Feier. 
Das war der ludus paschalis, wie ihn die Großeltern schon 
gesehen; nur etwas schöner und länger war er geworden. Atemlos 
hatte die Menge dem heiligen Schauspiel gelauscht und freute sich 
nun, daß die Klosterleute den alten Brauch wieder auffrischten. 
Gefangen von all dem Glanz und Schimmer und noch voll der 
Andacht von den ergreifenden Choralmelodien der cantores begab 
man sich nach Hause, um bis zum Morgengrauen noch kurzen 
Schlafes zu pflegen. Nur eine Seele wachte fort die ganze stille 
Nacht — die Klausnerin Wilbirgis. 
Sie lebte in ihrem an den Chor angebauten Häuschen nun 
schon an die 40 Jahre als Inclusa ein strenges, abgeschlossenes 
Leben. Die heutige Nacht hatte für sie etwas Außerordentliches 
bedeutet. Sie war ja von ihrem kleinen Fensterchen aus Zeugin
	        
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