Volltext: Drama und Theater in Österreich ob der Enns bis zum Jahre 1803

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Das Volk wollte aber verstehen, was die Hirten und die Könige 
und die heiligen Frauen am Grabe sangen. Schüchtern wagt sich 
nun bald der eine und andere deutsche Vers in den ludus und mit 
der Zeit siegt die Muttersprache ganz. Der rituale Charakter wird 
in derlei Spielen allgemach durch den theatralischen Typus verdrängt. 
Die fahrenden Sänger bemächtigen sich des geistlichen Spiels 
und machen der Schaulust der Menge weitgehende Zugeständnisse. 
In den Antichristspielen werden gräßliche Teufelslarven und 
groteske Totenerweckungen die Hauptsache, in den Weihnachtspielen 
lacht alles über das schreiende Christkind und will man die Mutter¬ 
gottes als Kindbetterin sehen, in den Dreikönigspielen wird der 
Kindermord möglichst anschaulich gemacht und die Buben ergötzen 
sich, wie der Herodes auf der Bühne greulich wütet. 
Das gesunde religiöse Gefühl mußte sich sträuben, solche Dinge 
in der Kirche zu sehen. In den Klöstern wanderte man damit in 
die Refektorien, und wo Laien mittaten, ging das Spiel auf dem 
Friedhof oder auf dem Platze vor sich. 
Das Volk fand nichts Ungehöriges darin, aber der Klerus 
rügte doch ernstlich diese immer mehr um sich greifende possenhafte 
Verzerrung geistlicher Stoffe und verbot sie oder verbannte sie 
wenigstens aus den Kirchen. 
Es ist interessant, daß der bekannte Gerhoh, der einst als 
Rektor der Augsburger Domschule dem herrschenden Geschmacke 
sich nicht hatte entziehen können, 40 Jahre später (1160) als Propst 
des oberösterreichischen Augustiner - Chorherrnstiftes Reichersberg 
energisch die Entartung des geistlichen Volksschauspiels bekämpft.1} 
Es scheint, nicht ohne Erfolg. Wenigstens wird 100 Jahre später 
im Augustiner-Chorberrnstift St. Florian der ludus paschalis, die 
Osternachtfeier in ihrer alten, noch ganz durch den Ritus der 
Kirche bedingten Form aufgeführt. 
Stellen wir uns im Geiste an einen Pfeiler der Stiftskirche — 
etwa um das Jahr 1280 — und denken wir, es sei die Nacht vor 
dem Ostersonntag. 
Bald füllen sich die weiten Hallen, die Pfarrholden finden sich 
zum Besuche des heiligen Grabes ein, welches mit schönen Tüchern 
für deutsches Altertum, Bd. 48, Doppelheft 1/2, veröffentlicht habe. Sie dürfte 
indes, wie ich a. a. O. wahrscheinlich zu machen versucht habe, mit einem 
Kodex in den ersten Zeiten des Stiftsbestandes von Würzburg durch Schenkung 
dahin gekommen sein. 
0 Oerhoh, De investigatione Antichristi (Opera hact. ined. cur. Scheibelberger, 
Tom. I. Lincii 1875), Cap. V.
	        
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