Volltext: Drama und Theater in Österreich ob der Enns bis zum Jahre 1803

I. Das Drama im Mittelalter und seine 
Ausläufer. 
Hat die Kunst überhaupt ihre reichste Befruchtung durch die 
Religion erfahren, so auch die dramatische. Das war schon bei den 
alten Völkern der Fall und die christliche Kunstgeschichte sagt uns 
dasselbe. Und so sind — so paradox es klingen mag — tatsächlich 
die Tempel und Kirchen die ältesten Schauspielhäuser. 
Die liebreizenden Szenen mit den schlichten, demütigen Hirten 
auf dem Feld in der hochheiligen Weihnacht und mit den frommen 
Frauen am Auferstehungsmorgen wollte man frühe schon dem Volke 
anschaulich machen und tief ins Herz prägen. Sie waren schon im 
evangelischen Bericht dialogisch und es bedurfte sonach nur eines 
kleinen Schrittes zu dramatischer Auffassung. Vermutlich in der 
Abtei St. Gallen wurde er getan. Dort ersann um das Jahr 900 
ein Mönch den Tropus und bald erklangen im Chore die schönen 
Antiphonen der Weihnachts- und Osterzeit in hehrem Wechselgesange 
mit den neuen figuralen Einschüben vor dem Bilde des Christ¬ 
kindes, zu Ostern angesichts des heiligen Grabes: Das Weihnacht- 
und Osterspiel war geboren.1) 
Die sinnige Art, den Festesglanz zu erhöhen und das Volk 
zu erbauen, fand Beifall und weite Verbreitung in deutschen Gauen. 
Der erfinderische Geist der Mönche wußte bald auch die heiligen 
drei Könige zu rufen und ließ sie aufs neue dem Christkind ihre 
Gaben opfern.2) 
*) Diesem Ergebnisse der gründlichen Untersuchungen in L. Gautiers Histoire 
de la poesie liturgique au moyen âge, I les Tropes (1886) stimmen W. Creizenach, 
Geschichte des neueren Dramas, I. Halle 1893, p. 47, und W. Meyer, Fragmenta 
burana, Berlin 1901, bei: Das geistliche Schauspiel ist eine Erweiterung des 
gesungenen Tropus: wie dieser, so wird auch das lateinische Schauspiel stets 
gesungen (p. 37). 
2) Im Benediktinerstifte Lambach (Oberösterreich) wird eine Dreikönigfeier 
aus dem 11. Jahrhunderte mit Neumen aufbewahrt, die ich in der Zeitschrift
	        
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