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„Unser junges Leben eilt
Mit verhängtem Zügel,
Krankheit, Schmerz und Gram verweilt,
Nur die Lust hat Flügel.
Ob wir hier uns wiedersehen
Und wie heut ein Fest begehrn,
Wer gibt Brief und Siegel?"
Besonders wir Schülerinnen der VI. Klasse, im Begriffe vor
den Prüsungstisch zu treten, um dann als flügge Vögel in die Welt
hinauszuflattern, werden kaum wieder so ungezwungen fröhliche Stunden
verbringen wie auf den schönen Lyzeumsausflügen.
Jetzt, wo es Abschied nehmen heißt von unserem traulichen
Heim, jetzt fühlen wir erst, wie teuer es uns geworden! Wir können
nicht umhin, noch einen Blick zurückzuwerfen auf die vergangene
Schulzeit. Kleine schüchterne Mädchen mit verzagten Herzen, kamen
wir ins Lyzeum. Von Jahr zu Jahr mehrte sich unser Wissen, eine
neue Welt hat sich uns erschlossen und besonders das letzte Jahr trug
viel bei, unseren Kenntniskreis zu erweitern. In welch harmonischem
Einklang lebten Lehrer und Schüler zusammen, wie sind uns erstere
als Freunde und Ratgeber zur Seite geftanben! Herr Direktor haben
durch Ihre stete Fürsorge unsere jungen Herzen im Sturme erobert.
Sie waren uns ein gütiger Berater, ein väterlicher Freund! Möge
all die Mühe, die Ihnen, hochverehrter Herr Direktor, die Sorge für
unser-Wohl, für unsere Ausbildung gemacht hat, durch reiches Glück
auf Ihrer Lebensbahn in Ihrem edlen Berufe entlohnt werden!
Am nächsten trat uns Fräulein Schwämmet, unsere sehr
verehrte Klassenvorsteherin, der wir besonderen Dank schulden. Unsere
Verehrung und Liebe haben wir zwar nicht immer augenscheinlich be¬
wiesen; denn manchmal stürzte unser Jugendübermut alle gefaßten
guten Vorsätze um; aber seien Sie versichert, es war nie, nie böse
gemeint. An alle übrigen Lehrkräfte, die so gütig zu uns waren und
so fürsorglich zur Bereicherung unseres Wissens beitrugen, richte ich
dieselben Worte. Gern möchten wir unsere Dankbarkeit durch die Tat
beweisen, doch nie würden wir diese große Schuld tilgen können. So
nehmen Sie den guten Willen fürs Werk!
Meine lieben Mitschülerinnen! Bald trennen sich unsere Wege;
wir streben verschiedenen Zielen entgegen und nur zu bald werden
wir in alle Winde zerstreut sein. Doch wo immer hin auch das
wechselnde Geschick uns versetzt, das liebe alte Haus in der Museum¬
straße und die Zeit, die wir darin verbrachten, werden nie aus unserer
Erinnerung schwinden. Was immer auch unser künftiger Beruf sei,
wir wollen der Anstalt jederzeit Ehre machen und trachten, daß der
reichlich gesäte Same auch gute Früchte trage.
„Eintracht und Liebe halten uns zusayrmen,
Wie auch im Wechsel steigt und fällt das Leben;
Aufwärts die Blicke! Kräftigt euer Streben!"