Volltext: XXI. Jahresbericht des Mädchen Lyzeums in Linz 1909/10 (21. 1909/10)

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unabhängige Körperteile. Linen Beleg für eine derartige Umzüchtung 
liefert ein kleiner Salzwasserkrebs, die Artemia salina, die sich 
durch allmählige Aussüßung des Wassers in ein Süßwasserindividuum 
mit abweichenden Formcharakteren, in den Branchipus, umwandeln 
läßt. Solche Beobachtungen rücken die in der Tierwelt vielfach erfolgten 
Einwanderungen von Meerestieren in die Flüsse und Seen der Konti¬ 
nente unserem Verständnisse wesentlich näher. Und wenn es gelingt, im 
Wasser laichende Molche zu lebendiggebärenden und kiemen- und ruder¬ 
schwanzlosen Landformen umzuzüchten oder den schwarzen Wasserkäfer, 
der seine Nahrung im Wasser sucht, zum Fressen außerhalb des Wassers 
zu dressieren, so denken wir an den terripetalen Zug der Entwicklung, 
an die schrittweise erfolgte Auswanderung vieler Tierformen des Meeres 
auf das Land und die damit gewonnenen Neuerwerbungen. Denn es ist 
klar, daß ein solcher Übergang aus einem Reiche des Gleichmaßes, wie 
es das Wasser mit seiner relativen Konstanz von Dichte (Bewegungs¬ 
widerstand), Licht und Wärme ist, auf das Land, in ein Medium solchen 
Wechsels von Trockenheit und Feuchtigkeit, Belichtung, Wärme und 
Kälte, Bewegung, wie es die Atmosphäre darstellt, wozu sich noch 
Gegensätze der Bodenbedeckung (Urwald, Steppe, polargebiet rc.) ge¬ 
sellen, daß ein solcher Übergang die größte Anregung zu neuen Diffe¬ 
renzierungen und Formenbildungen, zu einer Höherentwicklung in sich 
birgt. So können, um es noch einmal zu betonen, Anpassungsmerkmale 
zu Grganisationscharakteren werden und damit eine bestimmte Mrgani- 
sationshöhe bedingen. — Auffallend sind Abweichungen vom Typus, 
die nicht auf dem Wege langsamer Anpassung oder Umzüchtung, sondern 
spontan, sprungweise und mit einem Schlage fertig und vollwertig 
hervortreten — die Mutationen. Man kennt diese am besten im 
Pflanzenreich und sie sind durch einen hohen Grad von Vererbbarkeit 
ausgezeichnet. Fraglich ist nur, ob durch solche Mutationen auch immer 
Anpassungen entstehen können. 
Die Entwicklung von Zweckmäßigem nur durch Auslese (Selektion) 
zu erklären, wie es der Grundgedanke der Darwinschen Theorie ist, 
als ob die über tausendfältige Varianten verfügende Natur, wie ein 
va dangue-Spieler günstige Thancen riskierend, in einem blinden Wurfe 
eine Menge Abänderungen in die Welt gesetzt hätte, von denen nur die 
zweckmäßigsten oder die „passendsten" überleben sollten — diese Er¬ 
klärung findet heute immer weniger Anklang, denn sie erklärt nicht die 
Zweckmäßigkeit, sondern setzt sie schon voraus, sie erklärt nur, wie und 
warum Zweckmäßiges sich behauptet. Sicher hat die Selektion in der 
Ausgestaltung der Drganismenwelt mitgewirkt, aber nicht als form-
	        
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