Volltext: Die deutschen Gewerkschaften im Kriege [87]

So mußte es dabei bleiben, daß sich Arbeiterklasse und Staats¬ 
gewalt in Deutschland als unversöhnliche Feinde gegenüberstanden. 
Es fehlte in beiden Lagern nicht an Stimmen, die das aufrichtig 
bedauerten, und die besten politischen Köpfe des Bürgertums ließen 
keine Gelegenheit vorübergehen, wo sie für eine Annäherung wirken 
konnten. Zeitweilig hatten solche Bemühungen wohl auch einen 
geringen Erfolg; eine durchschlagende Änderung trat jedoch nicht 
ein; nicht nur die Macht der Tradition, sondern auch die Anfertig¬ 
keit des politischen Verfassungslebens, das noch so sehr auf den 
alten Obrigkeitsstaat zugeschnitten war und in dem das Reichstags¬ 
wahlrecht wie ein Fremdkörper stand, mußte alle diese wohlgemeinten 
Versuche schon im Keime ersticken. Das Ausland freilich dachte 
anders darüber. Im skandinavischen Norden diskutierte man eine 
„deutsche Frage", nämlich die Frage, wie lange ein solches Regie¬ 
rungssystem noch ausrechtzuerhalten sei. Dort bedauerte man einen 
solchen Zustand, und zwar um so lebhafter, je mehr man sonst mit 
deutschem Wesen sympathisierte. In den uns heute feindlichen West¬ 
staaten aber war dies Verhältnis ein Gegenstand blutigsten Spottes 
und — heimlicher Freude. Je schärfer sich der Gegensatz äußerte, 
um so sicherer wurde die Äossnung, daß er bei einem internationalen 
Konflikt ein Moment der Schwäche für Deutschland werden würde, 
der den Gegnern die Aufgabe erleichtern müßte. Man hoffte dort 
in der Tat, daß der Ausbruch des Krieges für Deutschland zugleich 
den Ausbruch der Revolution bedeuten würde. Wir wollen nicht 
allzusehr darüber lachen, denn die Wandlung, die sich im Wesen der 
deutschen Arbeiterklasse, unter der Obersiäche sozusagen, vollzogen 
hatte und die allerdings solch unheilvolle Konflikte völlig ausschloß, war 
auch innerhalb der deutschen Grenzen nur wenigen offenbar geworden. 
Die Wandlung und ihre Triebkräfte 
Vergegenwärtigen wir uns nun noch einmal jenen üblen Zu¬ 
stand, so erscheint das Verhalten der Gewerkschaften bei Ausbruch 
und während des Krieges in der Tat als ein jäher Bruch mit ihrer 
ganzen Vergangenheit. Im Juni 1914 die drohend geballte Faust — 
im August desselben Jahres Schulter an Schulter mit Regierung 
und Anternehmertum für das gemeinsame Vaterland unter dem Be¬ 
kenntnis zum Burgssieden: das ist ein Widerspruch. 
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