Volltext: Die deutschen Gewerkschaften im Kriege [87]

Die Tatsachen 
Sechs Wochen vor Kriegsbeginn trat in München der neunte 
deutsche' Gewerkschaftskongreß zusammen. Es war noch stille Frie¬ 
denszeit. Von den Teilnehmern dieses Kongresses dachte sicherlich 
keiner an die Möglichkeit eines nahen Weltkrieges. Was hat darum 
dieser Kongreß mit der Äaltung der Gewerkschaften während des 
Krieges zu tun? In der Tat — nichts. Aber gleichwohl ist es von 
Vorteil, sich an ihn zu erinnern. Noch waren die Schüsse von 
Sarajevo nicht gefallen. Noch bewegte sich unser aller Denken und 
Leben nach der gewohnten Friedensschablone. And darum legte 
man sich auch auf diesem Kongreß keinen Zwang aus, sondern 
brachte an Beschwerden und Kritiken gegen die Regierungen vor, 
was man auf dem Äerzen hatte. And das war nicht wenig. Es 
wehte Konfliktsluft auf dem Kongreß. Es fielen scharfe Worte über 
die Bedrohung des Koalitionsrechts, gegen die sächsische Streik¬ 
postenverordnung, gegen die polizeiliche Praxis, die Gewerkschaften 
als politische Vereine anzusehen und damit ihr Wirken zu erschweren, 
gegen die ablehnende Äaltung der Reichsregierung in der Frage 
der Arbeitslosenversicherung. Der letzte Tag des Kongresses brachte 
eine Äußerung tiefster Anzufriedenheit mit der Richtung der deut¬ 
schen Politik: 
„Wir Gewerkschafter sind sicherlich für eine Entwicklung aus 
dem Wege der Reform. Seit Lassalles Tagen steht die deutsche 
Arbeiterbewegung auf dem Boden des parlamentarischen 
Kampfes. Sie hat in fünf Jahrzehnten bewiesen, daß es ihr 
Ernst damit ist, ihre Sache im Rahmen der Gesetze zu fördern. 
Ob wir aber dabei bleiben können, hängt nicht von uns ab: 
wenn man den Massen jeden Weg nach aufwärts und vorwärts 
verrammelt, muß schließlich auch der stärkste Damm brechen!" 
And diese Äußerung wurde von stürmischem Beifall unter¬ 
strichen. Nicht immer waren auf den Gewerkschaftskongressen solch 
scharfe Worte gefallen. Aber doch kamen sie nicht von ungefähr. 
Sie waren aus einem Widerspruch entstanden, in dem sich das innere 
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