sie sich nicht mit den Anschauungen der Gewerkschaften gedeckt hätte.
Aber sie hat sich in Wahrheit nicht nur mit ihnen gedeckt, sondern
sie ist gerade der Ausdruck des politischen und sozialen Wollens der
Gewerkschaften, und sie hätte sich vermutlich ohne den Einsiuß, den
die Gewerkschaften seit dem Beginn ihrer Wachstumsperiode auf
das Wesen der Arbeiterschaft ausgeübt haben, überhaupt nicht
durchsetzen und aufrechterhalten können.
Es ist darum von allgemeinem Interesse, die Entwicklung im
einzelnen kennen zu lernen, die die deutschen Gewerkschaften aus
ihrer früheren Stellung zähester Opposition in die große geschlossene
Verteidigungsfront des ganzen deutschen Volkes geführt hat. Die
Darstellung folgt dabei einem Vortrage, den der Verfasser am
13. November 1916 in der „Deutschen Gesellschaft 1914" ge¬
halten hat.
Wie jener Vortrag, so beschränkt sich auch diese Darstellung
auf die Entwicklung und Haltung der freien Gewerkschaften, das
sind die der „Generalkommission" angeschlossenen Zentralverbände,
die seit dem Jahre 1906 mit der Sozialdemokratischen Partei in
einem Kartellverhältnisse stehen. Zur Rechtfertigung dieser Be¬
schränkung sei folgendes gesagt: Die freien Gewerkschaften umfaßten
vor dem Kriege reichlich fünf Sechstel aller gewerkschaftlich or¬
ganisierten Arbeiter unseres Landes. Die drei hauptsächlichsten
Organisationsgruppen zählten im Jahre 1913 Mitglieder:
Freie Gewerkschaften........ 2 548 763
Christliche Gewerkschaften...... 342 785
Äirsch-Dunckersche Gewerkvereine . . . 106 618
Äber die daneben bestehenden polnischen Berufsvereinigungen und
syndikalistischen Organisationen sind öffentlich keine Zahlen bekannt,
ihre Mitgliederzahl ist jedoch gegenüber diesen drei Gruppen un¬
bedeutend. Die Haltung der Gewerkschaften während des Krieges
ist in dieser Darstellung als soziales Problem aufgefaßt; als
solches kann aber nur die Haltung der freien Gewerkschaften gelten.
Die freien Gewerkschaften sind, ihrer Größe und ihrem Geiste nach,
die Klassenorganisation der deutschen Arbeiter, in ihnen spiegelte
sich das soziale und sozial-geistige Wesen der deutschen Arbeiterschaft
in Naturtreue wider, ihr Entwicklungsgang entspricht der Entwick¬
lung der Masse der deutschen Arbeiter. Aus diesen Gründen dürfte
sich die Beschränkung auf die freien Gewerkschaften rechtfertigen.
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