Der deutsche Zusummenbruch im Osten im November l$l$
weißrussischen und die kleinrussischen Stämme, vor Jahrhunderten von den Moskauer Zaren unter¬
worfen, hätten in dem Prozeß der Entstehung eines Weltreiches keine wesentliche Rolle gespielt.
Es war für ein siegreiches Heer ein verlockendes Ziel, in Moskau einzuziehen und die deutsche
Fahne auf dem Rreml aufzupflanzen, wenn es indessen richtig war, was viele versicherten, daß die
Schwierigkeiten eines Vormarsches in das Innere Rußlands, an denen ein Napoleon gescheitert war,
sich von Smolensk ab erst recht zeigen würden, dann war es sicher klug, das Schicksal nicht herauszu¬
fordern. Ohnehin barg schon der Aufenthalt in den bisher besetzten Gebieten, in denen das revolutionäre
Feuer unter der Asche weiter brannte, Gefahren genug. Es war unmöglich, die deutschen Soldaten
vor der zersetzenden Berührung mir den revolutionären Elementen zu bewahren. Auch sonst wirkte
vieles in diesem Lande demoralisierend. Das Soldatenleben nahm Formen an, die mit Rriegertum und
Waffentaten nicht mehr viel zu tun hatten. Aus Soldaten wurden Verwaltungsbeamte, von denen
viele den mannigfachen Versuchungen unterlagen, die das bequeme, schwer zu beaufsichtigende Dasein
in den weiträumigen Gebieten und der Handel mit Lebensmitteln und anderen nützlichen Dingen mit
sich brachte. Die Disziplin, die innere und die äußere, nahm unheilbaren Schaden.
So kam es, daß der Weltkrieg in diesen östlichen Ländern, in denen wir als unbestrittene Sieger
standen, in denen niemand es gewagt hätte, die Waffen noch einmal gegen uns zu erheben, unter
Umständen endete, die dem deutschen Vlamen zur Unehre gereichen. Es kamen die schwarzen Tage,
in denen deutsche Soldaten sich von den Polen entwaffnen ließen und mit den Bolschewisten fraterni¬
sierten.
Schuld oder Schicksal — wer wollte hier die Grenze bestimmen. Aber so viel muß gesagt werden:
das dunkelste Rapitel deutscher Soldatengeschichte vollzog sich nicht unter dem Zwang äußerer Vor¬
gänge. Dieser Schandfleck läßt sich mit noch so vielen Erklärungen und Entschuldigungen nicht ab-
waschen. Die Erinnerung daran wird uns immer die brennende Röte der Scham ins Gesicht treiben.
Rätselhaft hatte uns dieses slawische Land angeblickt, von der ersten Minute an, in der wir unseren
Fuß auf polnischen Boden gesetzt hatten. Rätselhaft war es uns all die Jahre hindurch geblieben.
VTtw zeigte es zu guter Letzt doch noch feine unheimliche Macht über die Seelen der Menschen. Es
verdarb die besten Soldaten der Welt, wir waren nicht nach Moskau gegangen, aber das Unheil
erreichte uns doch.
Siegestrunken jagten die roten Garden Lenins hinter den zurückflutenden deutschen Besatzungs¬
truppen her. In Berlin hofften sie in wenigen Wochen den Sieg der Weltrevolution zu verkünden.
Unweit der Grenze warfen sich ihnen deutsche Freiwillige entgegen, einige Hundert zuerst, dann ein
paar Tausend. An ihrem widerstand und dem der Polen zerschellte die gegen Europa anbrausende
Welle der russischen Revolution. Sie retteten das Werk von Tannenberg und Lodz und unseren
Glauben an uns selbst.