Volltext: Von Tannenberg bis Hellingfors. Polen. Rumänien. Von den Karpathen zum Kaukasus. Die serbische-mazedonische Front. Italienfront. Der Orient (I. / 1935)

Italien 
Residenz gedient, daß Rarl der Große von hier aus durch feine Markgrafen Italien regiert hatte. 
Er hatte anderes und wichtigeres zu tun, als in Geschichtserinnerungen herumzukramen. Er mußte 
marschieren. Es war, wie immer, eilig. Die italienische Armee sollte noch diesseits des Tagliamento 
gefaßt und vernichtet werden. 
Der Frontsoldat hatte nie Muße zu ruhiger, genußreicher Betrachtung von Stadt und Land. 
Das blieb der Etappe überlassen. 
Aber bei aller Hetze und Mühseligkeit des Vormarsches blieb doch auch beim einfachen Musketier, 
der seinen Tornister von Lividale nach Udine und dann weiter zum Tagliamento und zur Piave 
schleppte, manches von dem Einzigartigen und Großartigen der italienischen Landschaft haften. Er 
staunte, auch wenn er nichts von romanischen Basiliken und gotischen Hallenbauten, von Renaissance¬ 
fassaden und Barockgiebeln verstand, über die Pracht der Rirchen mit ihren abgerückten schlanken 
Türmen, über die Plätze mit ihren Brunnen und Rundbögen und Marmorsäulen. — Es gab auch 
nördlich der Alpen altersgraue Städte mit schönen Rirchen und Türmen genug. Aber irgend etwas 
unterschied sie alle von diesen oberitalienischen Städten. Der einfache Mann konnte nicht mit Morten 
ausdrücken, ja nicht einmal in Gedanken formen, was es war. Aber er wußte, daß er die italienische 
Landschaft nie mir irgendeiner anderen verwechseln würde, die er gesehen hatte. Ihre Bilder blieben 
seinem Gedächtnis als besonderes und einmaliges Erlebnis eingeprägt. 
Es war eine uralte edle Rultur, die ihm in ihrer berückenden Schönheit hier in jeder kleinen 
Stadt, in jedem Dorf entgegentrat. Sie hatte Iahrtaufende überdauert, und sie war auch nur wenig 
übertüncht durch den Prunk und die Aufdringlichkeit eines industrieberauschten Iahrhunderrs. Bis 
in die untersten Schichten des Volkes reichten die alten Beziehungen zwischen Natur und Runst, die diese 
„klassische Landschaft" geformt hatten. Mas anderswo als kostbares Gut und als Sehenswürdigkeit 
gehütet wurde, hier war es Volkseigentum im tiefsten Sinne geworden. In der kleinsten Stadt stan¬ 
den die Merke großer Rünftler. Sie standen als Altarbild in der Rirche, als Brunnenfigur auf dem 
Marktplatz, als Säulenhalle vor dem Rathaus. — 
In Lividale marschierten sie ein. Mie war dieses kleine Landstädtchen mir seinen grauen Mauern 
und Dächern verwachsen mit seiner Umgebung, wie lag es eingebettet in die mit Meinreben und Ol- 
bäumen und Rastanien bedeckten Hänge. Stolz ragten feine Türme über die engen Gassen. In kühnen 
Bögen schwang sich die „Teufelsbrücke", jetzt halb zerstört, über das tiefe Felsenbert des rauschenden 
Natisone. 
Durch Udine ging der Marsch. — Unvergeßlich für jeden Soldaten, der durch die Stadt mar¬ 
schierte, die Piazza virrorio Emanuele am Fuße des Raftells mit ihren Säulenhallen und Denk¬ 
mälern, mit dem geflügelten Löwen, dem Wappentier der Republik Venedig, mit dem achteckigen 
Turm des Doms. 
vieles in dieser Landschaft war dem deutschen Soldaten freilich auch fremd. Er verglich das 
matte Olivgrün der Berghänge, die kahlen Gipfel mit den Laubwäldern der Heimat und mit ihren 
rannenbewachfenen Berghöhen. Es mißfiel ihm das verstaubte Grau der eng und hoch gebauten 
Häuser, der Mauern und Straßen. — Italien ist überrreich an totem Gestein und arm an lebendigem 
Holz. — Beim Marsch durch die Ebene entbehrte er den freien, weiten Blick über Rornfelder und 
Miesen. Die unendlichen Reihen von Maulbeerbäumen und Meiden hemmten jede Sicht. 
Heimatlich war dem deutschen Soldaten dieses Land nicht, vor allem wenn er der norddeutschen 
Tiefebene entstammte. Es fehlte ihm das breit Gelagerte, das bürgerlich Behagliche. Es fehlte ihm 
ein wenig vielleicht auch der deutsche Begriff von Ordnung und Sauberkeit. Er konnte sich leichter 
vorstellen, daß er in Mitau leben könne als in Lividale oder Udine. 
Dennoch wurden ihm die Bilder dieser südlichen Landschaft in ihrer fast feierlichen Schönheit, 
soweit er sie in der Haft des Vormarsches in sich aufnehmen konnte, zu einem unvergeßlichen Besitz. 
Vielen waren sie mehr, waren sie die Erfüllung einer geheimen Sehnsucht. 
General Otto von Below hatte durchaus nicht die Absicht, nur eine „gewöhnliche Schlacht" 
zu schlagen. Er dachte nicht daran, die Italiener hinter den Tagliamento entkommen zu lassen. Er 
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