Volltext: Von Tannenberg bis Hellingfors. Polen. Rumänien. Von den Karpathen zum Kaukasus. Die serbische-mazedonische Front. Italienfront. Der Orient (I. / 1935)

Das „Wunder von Rarfreit" 
Die Italiener sind durch die nie erlebte Heftigkeit des deutsch-österreichischen Artilleriefeuers wie 
betäubt. Die Führung erhält nur unzureichende Nachrichten. Aber die Gesamtlage scheint noch 
keinen Anlaß zu ernsten Bedenken zu geben. 
Auf dem langgestreckten Rücken des Rolowrat und auf dem Monte Matajur stehen italienische 
Truppen und Reserven. Sie warten auf Befehl. Unten auf der Straße, die von Tolmein im Isonzo- 
tal hinauf nach Rarfreit führt, ist sonderbarerweise starke Bewegung, wenn der Wind für Minuten 
die Wolkendecke zerreißt, kann man eine lange Marschkolonne erkennen. — Deutsche!? — Wahnsinn! 
Drüben auf dem Rrn wird ja noch gekämpft. Deutlich hört man das Geschütz- und Maschinengewehr- 
feuer. Im übrigen liegen günstige Nachrichten vom Abschnitt Tolmein vor.—Also deutsche Gefangene, 
die unten im Tal abtransportiert werden. Man beruhigt sich. 
Aber dann häufen sich die unheimlichen Nachrichten. Eine deutsche Angriffskolonne habe 
Ramno durchschritten, habe, ohne irgendeinen Widerstand zu finden, Rarfreit erreicht, sei nach Westen 
in der Richtung auf das Tal des vlatisone abgebogen, das nach Lividale führt. Deutsche Soldaten 
stiegen die Hänge des Monte Matajur hinauf. Oben bei Flitsch stünden die Österreicher bei Saga, wo 
der Isonzo den scharfen Rnick nach Süden macht. Unmöglich! Dann wäre ja der Rrn auf beiden 
Seiten vollkommen umfaßt, die ganze Besatzung abgeschnitten! — Aber dort wurde doch noch 
gekämpft! 
Der Abend sinkt herab, Panik schleicht heran. Panik vorn in den Schützengräben, Panik in den 
Stabsquartieren. Dieselben Menschen, die hundertmal todverachtend gegen die Hänge der Hochfläche 
von Doberdo angestürmt sind, drängen hier Ln sinnloser Angst nach rückwärts. Es waren Soldaten 
und Ranonen genug da, um eine neue Stellung im Gebirge zu besetzen und zu halten. Aber die Ver¬ 
wirrung wird von Stunde zu Stunde größer, wächst am zweiten, am dritten Tag zur Rarastrophe. 
Rein Halten mehr. — Die Österreicher kämpfen sich über die Schnee- und Eisebene des Rombon und 
des Monte Lanin vorwärts, steigen westlich Saga den mächtigen Srol hinan und erstürmen hier 
fünf übereinanderliegende Stellungen. Die Deutschen nehmen den Monte Matajur, den Schlüssel 
zum Tal des Natisone, heraneilende italienische Reserven werden zersprengt. 
Es ist wie ein Wertlauf zwischen den beiden Verbündeten. Die ganze italienische Front von 
Flitsch bis Tolmein ist durchbrochen. Immer weiter nach Süden pflanzt das Unheil sich fort. Schon 
beginnt die Front auf der Bainsizza zu wanken, schon gehen die Schwingungen bis Görz, bis Do¬ 
berdo. Am 27. Oktober, am vierten Tag der Schlacht, erscheinen deutsche Truppen vor (Lividale, brechen 
dort letzten Widerstand, steigen in die italienische Ebene hinab. 
vloch hofft (Ladorna die Ausgänge des Gebirges halten zu können. Da erreicht ihn die Nachricht, 
daß die Pta. di Montemaggiere, der nördliche Schulterpunkt der geplanten Stellung, schon von den 
Österreichern genommen ist, daß noch weiter nördlich eine deutsche Division bei Resiutta bereits um 
den Eingang ins obere Tagliamentotal kämpft. 
Da bricht die ganze italienische Front zusammen. Die Schlachtfelder bei Doberdo und Görz, auf 
denen zwei und ein halbes Jahr so blutig gekämpft wurde, müssen schleunigst geräumt werden, um 
das Heer zu retten. Ungeheueres Rriegsmaterial fällt in die Hände der Verbündeten. 
Hinter dem Tagliamento hofft Ladorna eine neue Front aufbauen zu können. 
V^Xie oft schon waren die Völker des Nordens im Lauf der Jahrtausende über die Alpenpässe 
V4/ hinuntergestiegen in die blühende oberitalienische Ebene, wie viel gutes deutsches Blut war 
hier verdorben! — Jahrhundertelang hatte der seltsame Traum vom Heiligen Römischen Reich 
Deutscher Nation das deutsche Volk genarrt. 
Dieses Rapitel deutscher Geschichte war freilich längst abgeschlossen, als der deutsche Soldat des 
Weltkrieges in den späten Herbsttagen des Jahres lpl7 durch Friaul zog. Was kümmerten ihn noch 
die Romzüge deutscher Röntge, was bedeutete ihm der ganze Raisergedanke des Mittelalters, der einst 
eine Welt in Bewegung gefetzt hatte. Was wußte er davon, daß Lividale Langobardenherzögen zur 
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