Volltext: Der österreichische Staatshaushalt und die Steuerreform (Teil II. / 1909)

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läge bewirkt eine gleiche Preissteigerung. Der Staat könnte auch 
nnders vorgehen. Gesetzt, eine bestimmte Bevölkerung brauche täglich 
1 Million Semmeln, welche von tausend Bäckern erzeugt werden; 
nun fände der Finanzminister, daß es wünschenswert fei, j nur 
200.000 Semmeln mit 2 H. zu besteuern, jene Semmeln, die 
bei den mißliebigen Bäckern eines Ortsteiles erzeugt werden, alle 
nbrigen 800.000 Semmeln aber bloß mit 1 H. zu belasten. Was 
nun? Werden die Semmeln jetzt 4 -b 1 — 5 oder werden sie 4 4- 2 = 6 
Heller kosten? Man braucht nicht lange nachzudenken, um zu finden: 
La die Bevölkerung die volle Million Semmeln braucht, so können 
auch die minderbesteuerten Bäcker den Preis hochhalten, die ganze 
Million muß um 6 H. per Stück bezahlt werden. 
Eine überaus interessante Erscheinung. Diese Verschiedenheit 
des Steuersatzes, die Steuerdifferenzlerung wirkt so, daß die Be 
völkerung faktisch den höchsten Steuersatz bezahlt. 
Im Preise der Ware ist kein Unterschied, ob der Staat jedes Stück 
gleich besteuert oder nicht, jedes Stück kostet im zweiten wie im ersten 
Fall 6 H. Aber im ersten Fall, bei der gleichen Besteuerung, 
steckt der Staat den vollen Betrag, also zweimal eine Million Heller 
ein, im zweiten Fall hingegen nicht. Er bekommt 2X200.000 und 
1X800.000, also im ganzen 1,200.000 H., um 800.000 H. we 
niger. Diese 800.000 H. pro Tag, die auch infolge der Besteue 
rung von der Bevölkerung gezahlt werden, kommen dem Staate gar 
nicht zu, sie fallen in den Sack der Bäcker, welche selbst ein bißchen 
Staat spielen und Steuergelder einkassieren. Der Staat macht ihnen 
einfach aus Steuergeldern ein Präsent von 800.000 H. pro Tag. 
Dieser krasse Fall hat sich natürlich nirgends ereignet, er dient 
nur zur Veranschaulichung des Satzes: Im Falle der Diffe- 
r e n z i e r u n g einer indirekten Abgabe zahlt das 
Publikum normalerweise den höchsten Steuersatz. 
Der verminderte Steuersatz stellt einfach ein Ge 
schenk, eine Liebesgabe an den Erzeuger des Ar 
tikels dar. 
Das System der Liebesgaben, das meines Wissens von den 
preußischen Junkern erfunden und bei uns 1888 eingeführt worden 
ist, beruht auf dieser Preisbildung nach dem höchsten Steuersatz. Es 
wird mehrfach angewendet: 
1. Die Differenzierung zwischen Konsumabgabe und Produktions 
abgabe. Die großen, fabriksmäßigen Brennereien (oben 1a und 1 b) 
Zahlen den vollen Steuersatz von 164 H. für den Liter reinen 
Branntweines (das ist den Hektolitergrad Alkohol). Die kleinen Be 
triebe oder die P ro d u k t i o n s b r e n n e r e i e n (2 a und 2 b) 
zahlen den verminderten Steuersatz von 140 H. Sie stecken also 
normalerweise 24 H. per Liter oder 24 Kr. per Hektoliter in ihren 
Privatsack. 
Aber vielleicht ist das gerechte Sozialpolitik! Begünstigung des 
kleinen Mannes? Keineswegs. Die Produktionsbrennereien werden 
so nebenher neben der Landwirtschaft betrieben, und zwar faktisch 
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