Volltext: Allgemeine Einführung in das Steuerwesen (I. Teil /1909)

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für einen Hausvater, der wie König Lear sein Reich und sein Ver 
mögen an seine Kinder verteilt hat und dann bei ihnen um Gaben 
bitten muß. 
In den Zeiten des Urkommunismus bis tief hinein in die 
/Zivilisation besteht die Gemeinschaft durch das direkte Zusammen 
wirken aller ihrer Glieder. Der gemeinsamen Arbeit entspricht der 
Gemeinbesitz. Was der einzelne an Gütern innehat, besitzt er nur im 
Namen des Volksganzen, als dessen Verwalter. Mit dem Durchbruch 
/des Privateigentums und der Warenproduktion ist das Volksgut zer 
schlagen in zahllose Privatbetriebe, für die Gemeinschaft bleibt zuletzt 
michts oder nicht genug mehr übrig — sie mutz wie König Lear zu 
den neuen Teilherren gehen, um Abgaben zu fordern. Seither lebt 
der öffentliche Haushalt von den Abgaben der Privatwirtschaften, 
von Steuern, aus denen sie die Arbeit für die Oeffentlichkeit 
entlohnt. 
Zwar sind noch Reste des alten Gemeinguts erhalten. Es gibt 
noch Gemeinden mit Gemeinschaftswäldern; auch der Staat besitzt 
noch Waldungen und landwirtschaftliche Güter (Staatsforste und Do 
mänen). Aber den größten Teil der Gemeinschaftsgüter haben sich 
in allen Ländern der Adel und das Fürstentum als Privateigentum 
angeeignet. Aus dem geliehenen Gut (Lehen) machten sie Privat 
gut. Die Domänen und Staatsbetriebe decken unter diesen Umständen 
heute nur einen kleinen Teil des Staatshaushaltes. 
Die Abgaben der Privatwirtschaftsbetriebe an die Staatswirt- 
fchaft, die Steuern, sind die Folge der Warenproduktion und sie 
steigern sich in dem Matze, als diese zur kapitalistischen Produktions 
weise fortschreitet, wie sie auch mit ihr verschwinden müssen. Der 
Kapitalismus bemächtigt sich des Staates und damit der Staats 
steuern. Die Klassengegensätze der bürgerlichen Gesellschaft stoßen aus 
dem Gebiet der Steuern leidenschaftlich aufeinander. Der Kampf um 
die Besteuerung wird so ein wichtiger Teil der Geschichte des bürger 
lichen Staates. Bevor wir darauf eingehen, müssen wir die Grund 
lagen des Steuerwesens kennen lernen. 
Der Haushalt des kapitalistischen Staates baut sich auf der 
kapitalistischen Wirtschaftsform auf. Seine Grundlage also sind die 
privaten Wirtschaftsbetriebe. Diese Betriebe sind zweifacher Art, da 
heute fast jedermann seinen Haushalt vom Erwerb, seine Wohnstätte 
von seiner Arbeits- oder Geschäftsstätte getrennt hat, sie sind ent 
weder Erwerbsbetriebe (Unternehmungen) oder Konsumbetriebe (Haus 
haltungen). Will man die Wirkung einer Steuer beurteilen lernen, 
so mutz man ihren Einfluß auf Erwerb und Haushalt, auf das Ganze 
der Wirtschaft beachten, dann mutz man die kapitalistische Wirtschafts 
ordnung wenigstens in ihren Grundzügen begreifen. 
Die Steuern, die der Staat in einem Jahre einhebt, können 
normalerweise nur aus jenen Werten genommen werden, welche im 
Jahre von der Volkswirtschaft hervorgebracht werden. Wir müssen 
also das gesamte Jahreswertprodukt und seine Verteilung vorerst zur 
Darstellung bringen.
	        
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