Volltext: Illustrierter Braunauer-Kalender 1908 (1908)

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„Das ist doch aber gerade eine Affenschande!" brummte er, sich mühsam 
erhebend. „Was nun ?" 
Eine Weile stand er nachdenkend da und blickte mit bitterem Groll und doch 
sehnsüchtig nach dem Fenster hinauf; da drinnen harrte das mollige Bett seiner und 
ihn schüttelte hier außen der Frost, daß es nicht mehr schön war. Minchen schlief 
fest! Er kratzte mit den kalten, erstarrten Händen in dem gefrorenen Schnee herum, 
formte einige Bälle und warf gegen das Fenster, an dem sein schmachtender Blick 
hing. Endlich, bei dem klaren Mondscheine sah er deutlich, wie die Gardinen sich 
bewegten, auch eine menschliche Hand wurde sichtbar. 
„Gott sei Dank!" seufzte Max, dem vor Kälte die Zähne klapperten. 
Minute um Minute verging, erwartungsvoll haftete fein Blick aus den Gardinen, 
aber weder rührten sich diese, noch kam der teure Hausschlüssel, wie vor Wochen,' 
aus dem Fenster geflogen. Max trat wieder dicht unter das Fenster und rief weh» 
und demütig: ; 
„Miuchen, liebes Mtnchen, werfe doch den Hausschlüssel heraus! Ich erfriere ja!" 
Keine Antwort, kein Schlüssel. Wieder wartete er minutenlang, dann aber 
riß ihm die Geduld. 
„Donnerwetter! Willst du mich jetzt hineinlassen?" schrie er. 
Der Mond hatte sich inzwischen hinter ein schwarzgraues Wolkengebirge ver¬ 
krochen, jetzt tauchte im Dunkel der Nacht eine behelmte, ‘ in einen langen Mantel 
gehüllte Gestalt auf und faßte Max, dem in den leichten Hausschuhen die Füße wie 
zn Eisschollen erstarrt waren und der verzweifelt hin-und hertrappelte, fest am Arm. 
„Was treiben Sie denn hier für einen Unfug?" donnerte ihn der Mann des 
Gesetzes an. „Ich habe Sie nun schon über eine halbe Stunde beobachtet, wer sind 
Sie und was wollen Sie dort in dem Hause?" 
„Wer ich bin? Mein Name ist Max Freudenreich, ich wohne in dem Hause, 
habe meinen Hausschlüssel vergessen und kann nicht hinein." 
Es hörte sich an, als ob eine Gans schnatterte, so klapperten dem armen 
Pantofselheldeu bei diesen Worten die Zähne aufeinander. 
„Wie kommt es denn, daß Sie sich um diese Zeit, es ist vier Uhr morgens, 
bet dieser kalten Witterung in einem so auffallend leichten Auzug noch auf der 
Straße Herumtreiben?" 
„Ich sags Ihnen ja, den Hausschlüssel habe ich vergessen." 
„Kommen Sie mal mit!" . 
Max wurde es plötzlich jetzt ganz warm, es war ihm, als ginge ein Feuerstrom 
durch seine Adern. 
„Was fällt Ihnen ein? Ich bin Kaufmann und Bürger dieser Stadt!" 
„Nur keine Ausreden, marsch!" 
Damit packte ihn der Polizist erneut am Artn und transportierte ihn nach 
dem Polizeirevier. Auch der dort diensthabende Beamte schenkte den Aussagen des 
Aermsten keinen Glauben, und so ergab er sich denn mit den Worten in sein Schicksal: 
„Na, ich brauche hier wenigstens nicht zu frieren." 
Ant Morgen wurde es Max nicht schwer, seine Persönlichkeit durch einige 
angesehene, ihm bekannte und in der Nähe wohnende Bürger feststellen zu lassen, 
dann wurde eine Droschke herbeigeholt und er konnte seinem trauten Heim zueilen. 
Zunächst verschwand er im Fremdenzimmer, kroch schleunigst ins Bett und schlief, 
erst am Nachmittage erschien er bei der Gattin auf der Bildfläche. 
„Guten Tag, mein süßes Täubchen," sagte er lächelnd. 
„Pfui, du unleidlicher Mensch, der alle Scham verloren hat!" klang es zurück.
	        
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