Volltext: Illustrierter Braunauer-Kalender 1907 (1907)

sie begrub ... ob viele Kerzen brannten, ob schöne Lieder gesungen würden . . . 
Nachts konnte ich nicht schlafen, denn es schien mir immerfort, als riefe eine Stimme, 
daß ich zum Begräbnisse gehen solle. Da dachte ich bei mir, am besten wird's sein, 
du stehst auf und gehst. Du willst wenigstens sehen und wissen, wie die Deinigen 
beerdigt worden sind. Und da es von hier nicht weit ist nach der Straße, die zum 
Kirchhofe führt, erhob ich mich leise, machte die Tür ganz sacht auf und ging. . ." 
„Hast du dich nicht gefürchtet, mitten in der Nacht, ganz allein auf der Straße?” 
„Nein, Herr, ich sagte mir: wenn man sie getötet hat, was tut's, wenn man 
auch mich tötet? Ich lief auf den Kirchhofweg, versteckte mich so gut ich konnte 
und wartete . . . Lange Zeit war nichts zu hören, doch ich wartete. Plötzlich ver¬ 
nahm ich ein dumpfes Geräusch. Ich legte mich platt auf die Erde, nur den Kopf 
hob ich ein wenig, um alles zu sehen und fing an zu beten. Für den Vater betete 
ich, für die Mutter und dann für die anderen . . . 
Einen Augenblick schwieg er still, dann hub er wieder an: 
„Eine schwarze Masse kam heran, so breit wie der Weg; hinter ihr Wagen¬ 
gerassel ... In der Angst vermochte ich nichts zu unterscheiden; erst als sie an den 
Laternen vorbeikamen, erkannte 
ich sie: Kosaken waren's! Und 
hinter ihnen kamen Wagen, und 
aus diesen Wagen, Herr, lagen die 
Toten . . einer auf dem anderen, 
unbedeckt. Und sie reckten die 
Arme in die Höh', als wollten 
sie bitten, daß man sie wenigstens 
zudecke . . . Vielleicht waren dort 
auch mein Vater und meine gute 
Mutter. “ 
Er verfiel in tiefes Sinnen 
und senkte das Köpfchen, als 
drückte ihn jener Anblick noch 
jetzt nieder. 
Und dann hob er mit einer 
langsamen Bewegung, als erwachte 
er, den Kopf auf und sah mich 
forschend an. Da sagte er, und 
seine Stimme war nur ein leises 
Flüstern: 
„Auch Ihr seid traurig, Herr, 
obwohl ihr diese Arme nicht ge- 
' sehen habt . . . Solcher Wagen 
gab es fünf ... ja, fünf waren 
es. Auf dem sechsten standen 
Särge; wie viel es waren, weiß 
ich nicht bestimmt, denn sie lagen 
durcheinander, daß es wir einmal 
schien, es wären ihrer sechs, dann 
wieder, es wären nur fünf. Neben 
den Wagen ritten Kosaken und 
; ganz am Ende wieder ein Trupp 
j: Kosaken . . . Sie waren schon 
I längst verschwunden, und ich kniete 
1 noch immer da; denn ich war 
hingekniet, Herr, als ich diese 
ragenden Hände sah, und ich 
betete wieder wie vorher." „Und dann . . .?" Ich fühlte es, daß mir die Worte in 
der Kehle blieben . . . 
„Dann stand ich auf und wollte nach Hause gehen, aber kaum, daß ich mich 
rühren konnte, so war ich erstarrt und die Füße wollten sich nicht bewegen . . . 
Ich trat daheim in die Stube in großer Furcht, daß mich die Nachbarin nicht etwa 
höre, denn die Klinke knarrte, aber niemand hat etwas gehört. Ich legte mich ins 
Bett und die Zähne schlugen mir so aneinander, daß ich wieder in Angst war, sie 
könnten es hören ... Ich horchte, sie schliefen. Einige Tage blieb ich zu Bett, denn 
ich bekam einen schrecklichen Husten, und es schüttelte mich fortwährend vor Frost. 
Dann stand ich auf, aber der Husten und die Kälte blieben." 
„Deine Pflegemutter hätte einen Arzt zu Rate ziehen sollen," sagte ich. 
„Sie hat einen Arzt gefragt, Herr. Zweimal bekam ich Arzneien, aber sie 
halfen nicht. Beim drittenmal hatte der Herr Doktor mit dem Kopfe genickt und
	        
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