Volltext: Illustrierter Braunauer-Kalender 1905 (1905)

freilich, wenn Du es auch hier so machst, wie Du es am Stiftshof gewohnt warst, 
dann langt bald dies, bald jenes nicht." 
Margaretha wollte gerade eine geharnischte Antwort geben, als der Jungknecht 
meldete, daß der Sohn Georg nicht in der Schlafkammer sei und wohl auch gar 
nicht die Nacht dort zugebracht haben könne, da das Bett ganz unberührt sei. 
Furtner ging rasch mit dem Jungknecht in den Hofraum, wo bereits das 
übrige Gesinde mit den Geräten auf die Ankunft Georgs wartete, um gemeinsam 
an die Arbeit zu gehen. 
Er gab schnell den Dienstboten den Auftrag, einstweilen allein die Arbeit in 
Angriff zu nehmen, bis er selbst nachkomme. — Er wollte offenbar unberufene 
Zeugen entfernen, denn sein Innerstes bebte vor Erregung über diesen Bruder 
Liederlich, der ganze Nächte durchschwärme und sich um den Berghof so viel wie 
gar nicht bekümmere. 
Margaretha wartete, nachdem das Gesinde abgezogen war, nicht erst den 
Ausbruch seines Zornes ab, sondern fiel ihm mit wohlberechneter Entrüstung ins 
Wort: 
„Der arme Schnrsch, er wird sich den gestrigen Auftritt mit dieser stechen 
Dirne zu viel zu Herzen genommen haben — er hat wahrscheinlich im Gasthause 
verweilt, bis er vom Ungewitter überrascht wurde und nicht mehr nach Hause konnte. 
Er wird-halt zeitig früh auf die Talwiese gegangen sein, um Nachschau zu halten." 
„Haha!" lachte Furtner, „auf die Talwiese ist er gegangen — geh, Margaretha, 
das glaubst doch selber nicht. Du wirst doch zugestehen, daß es ihn mehr kränken 
würde, wenn in Ungarn der Wein mißräte, als wenn das Hochwasser die ganze 
Talwiese mitgenommen hätte. Wundert mich gar nicht, wenn ein Mädl wie die 
Vroni vor so einem Liederlich, so einem Nichtsnutz einen Abscheu kriegt und lieber 
in der Waldhütte bleiben will als auf dem Berghof." 
„Was!" kreischte Margaretha vor Zorn, „was, diese freche, scheinheilige Dirne 
ziehst Du dem Schurschi vor? Haha! es wäre wohl eine große Ehre, das Kind 
einer Rabenmutter, das Kind einer Diebin — versteh mich wohl, einer Diebin zur 
Schwiegertochter zu haben!" 
„Was sagst Du?" entgegnete Gregor in zurechtweisendem Tone, „das Kind 
einer Diebin? Margaretha, bedenk, was Du sprichst — dieses sanfte Wesen soll das 
Kind einer Verbrecherin sein?" 
„Daß ich nicht lache, — sanftes Wesen! Da sieht man, daß Dich diese Schlange 
schon ganz verblendet hat. Diese vermeintliche Sanftmut ist nichts als Scheinheilig¬ 
keit, mit der sie auch Deinen Vater zu umstricken wußte, während das Blut ihrer 
Mutter in ihr steckt, die nichts anders sein konnte als eine liederliche Dirne!" 
Die Hände in die Huste stemmend, trat Margaretha mit dem Ausdrucke innerer 
Schadenfreude vor Gregor, als dieser kopfschüttelnd auf und ab ging. 
„Also, was sagst Du dann?" eiferte sie. — „Nach dem gestrigen Auftritte, 
als die Dirne mit dieser Kupplerin, der Lein, unseren Hof verlassen hatte, gehe ich 
in ihre Kammer, um unter ihren Sachen nachzusehen, ob nicht etwa auch darunter 
etwas zu, finden wäre, was nicht gerade ihr gehört. Wie ich die Kommode aufmach, 
was finde ich da ganz hinten im Schubfach? — Eine schwere goldene Kette mit 
einem ebenso schweren Kreuz." 
„Nun, wahrscheinlich halt ein Andenken vom seligen Vater," bemerkte Gregor 
leichthin. 
„Laß mich zuerst ausreden, dann kommst Du an die Reihe!" fiel ihm Mar¬ 
garetha ins Wort. „Die Geschichte war mir verdächtig, weil die Dirne diesen wert¬ 
vollen Schmuck nie getragen hat. Ich gehe also zur Großdirne, die seit 20 Jahren
	        
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