Volltext: Illustrierter Braunauer-Kalender 1904 (1904)

. An einem regnerischen Abend im Spätherbst befand sich eine Gesellschaft von 
Schfferniii den oberen Räumen des Ankers zu Mülheim. Auf den gebräunten 
Eichentischen schwammen Lachen verschütteten Branntweins. Dicke Schwaden von 
Tabakvdunst zogen in blaugrauen Schleiern zu den flackernden trübe brennenden 
UeUmiipcn, die an eisernen Stäben von den gekrümmten Balken der niederen Decke 
Yerabhmgen. 
Es herrschte ein Höllenlärm, in dem man mit Mühe die mannigfaltigen Dialekte 
und Sprachen zu unterscheiden vermochte. Das Gelage war schon bis zu deni 
Punkte fortgeschritten, da das Chaos einzubrechen pflegt. Trunkene lagen schreiend 
und lohnend cmtJBoden; em paar Bayern begannen zu raufen. Heinrich Dönhoff 
saß am oberen Ende des Tisches, zu seiner Rechten sein Sohn, den er mit Drohung 
und Gewalt hergenötigt hatte. 
* „t. diesem Augenblick erhob sich ein baumlanger Holländer und stimmte mit 
krähender Stimme em frivoles Lied an. Der Knabe errötete bis zu den Haarwnrreln- 
seme Nachbarn lachten ihn ans. Da glitt er gewandt unter dem Tische durch und 
war durch die halboffene Tür entwischt, bevor ihn jemand hatte aufhalten können. 
„Heinrich!" brüllte der alte Dörhoff, wütend durch das dröhnende Gelächter 
das sich erhoben hatte. 1 
»Das wird sein Leben lang kein eäter Schiffer!" 
„Dein frommer Leinläufer macht einen Betbruder aus Deinem Jungen'" 
- s 'Dönhoff schlug mit der Faust aus den Tisch, daß die Branntweingläser klirrten. 
Das Armsen und der Grimm hatte das Weiße seiner Augen blutrot gefärbt. 
„Zum Henker , schrie er, „die Flausen will ich dem Jungen schon anstreiften 
„Dann treib’ sie dem Karl aber auch aus," setzte der lange Holländer mit 
•emetn Tone bei, der ■ verriet, daß er mehr dachte als aussprach. 
oder tUt ^ geheimnisvoll?" wetterte Dönhoff. „Herans mit der Sprache, 
Der Bedrohte flüchtete hinter den breiten Rücken einiger Landsleute 
"Ich glaub' eben nicht dran, daß Ihr dem Karl auch nur ein Wörtchen faat" 
„Warum nicht?" ’ ' 9 ’ 
„Er war ja mit Eurer Frau so gut Freund!" 
werden"sehen «WUrme^e Dönhoff, jetzt ganz bleich, aber unheimlich ruhig, „wir 
c, c.?er Wirt trat in's Zimmer. Schiffer Dönhoff." sagte er, „Ihr müßt machen, 
daß ^hr ruhranfwarts kommt. In, Sauerland ist viel Regen niedergegangen, und 
der Fluß ist m der letzten Stunde vier Zoll gestiegen!" 
7. 
. ,/-ne Viertelstunde später stand Heinrich Dönhoff auf feinern Schiff, das wie 
finV sif hu161 ^ Kette riß. Der Fluß rauschte und gurgelte durch die 
^ Nacht- Von den Bergen kam der Wind warm und feucht und brachte von 
den herbstlichen Wäldern den Verwesungsgeruch des welken Laubes wie eine leise 
Todesmahnung herübergeweht. 1 
"Das Wasser steigt, Herr," meldeten die Leinläufer. 
„Darum bin ich hier. Marsch, an die Gurten!" 
Nebenbei fragte er: 
„Ist mein Sohn hier?" 
„Wir hab n ihn nicht gesehen", lautete die Entgegnung.
	        
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