Volltext: Illustrierter Braunauer-Kalender 1903 (1903)

69 
Er qieng ganz allein. Die Andern, meist jüngere Leute, suchten seine Gesellschaft 
nicht, denn er war ihnen zu schweigsam und zu ernst. Als er zu Hause angekommen, 
die enge, niedere Stube betrat, schlug ihm eine dumpfe, schwüle Luft entgegen. Er 
riß das Fenster auf, ihm war, als könne er nicht athmen, als schnüre ihm etwas 
die Kehle zusammen. . 
Die Ausstattung des Stübchens war die denkbar einfachste: In der Mitte einer 
jener großen, viereckigen Tische, so plump und klotzig, wie man sie nur auf dem 
Lande findet; an der einen Längswand der große, grüne Kachelofen, darum eine 
rauhe Holzbank angebracht. Gegenüber stand das Bett, davor ein dreibeiniger, niedriger 
Stuhl mit allerlei Arzneigläsern und Flaschen. 
behutsam auf den Zehenspitzen gehend, schlich Konrad zu dem armseligen Lager 
und warf einen ängstlich forschenden 93lick auf das wachsbleiche Gesicht, welches zwischen 
den roth- und blaugewürfelten Kiffen sichtbar wurde. 
„Armes Weib," murmelte er dann, „Gott möge uns helfen!" 
Das Talglicht, das auf dem Tische brannte, flackerte unruhig, von einem leisen 
Luftzug bewegt, und warf einen matten Schein auf die Kcanke, die sich m ühfam halb 
aufrichtete.^ ^ ^ ^ gontafc?« fragte sie, „Wirst wohl Hunger und Durst 
haben, und ich kann nichts für Dich thun, gar nichts, — ach das ist ein 
Elend! Immer mußt Du Dich Plagen und sorgen, und dann nicht einmal ein 
richtiges Essen, warum sind wir denn gar so arm und so jämmerlich daran!" 
Sie fieng leise an zu weinen. _ 
„Sei still und klag' nicht immer," tröstete der Mann, die Hand der Kranken 
in die feinige nehmend, „hat uns Gott ein Kreuz auferlegt, so nimmt er's uns auch 
wieder ab, wenn es Zeit ist dazu. Verlaß Dich nur stets getrost auf ihn, er wird s 
wohl machen!" 
„Amen" tönte es leise von der Thüre her. 
Die beiden Ehegatten blickten sich überrascht an, als ein altes, gebückt gehendes 
Männchen über die Schwelle trat und einen großen, irdenen Tops auf den Tisch stellte. 
„Das schickt Dir die Bäuerin," sagte der Alte dabei, „sollst es Dir gut schmecken 
lassen." 
Dann entfernte er sich mit herzlichem „Gute Nacht." 
„Siehst Du," rief Konrat) feiner Frau zu. „hab ichs nicht gesagt? — Nun 
ist schon der Tisch gedeckt! Na, die Kinder sollen sich freuen, wo stecken sie denn wieder? 
„Die werben wohl nicht weit fein, und wenn sie hören, daß es was zu schmausen 
gibt, bekommen sie flinke Beine." ,, . 
Die Frau hatte Recht. Der Vater brauchte nicht lange zu rufen. Die kleine 
Schaar kam lärmend angestürmt. Lachend saßen dann alle fünf um den Tisch, unb 
begannen mit gutem Appetit zu essen. Sie bemerkten es kaum, daßber Vater noch 
nicht einmal ben Löffel eingetaucht hatte. Freilich, Reisbrei, noch dazu so dick mit 
Rücker und Rimrnt bestreut, das war ein gar seltener Leckerbissen für die hungrigen 
Kinder des armen Taglöhners. Hätte der Vater ihnen nicht den Tops weggenommen, 
so wäre derselbe wahrscheinlich noch in Stücke gegangen, da jedes der Kinder ihn 
zum Auslecken haben wollte. 
Lächelnd sah die Kranke zu. Für sich verlangte sie nichts, sie war glücklich, 
daß die Kinder sich satt essen konnten, — morgen würbe wohl ber gute Vater tm 
Himmel weiter sorgen. 
Ein schmaler Fußpfab führte rechts vom Dorfe zu einer bewalbeten Anhohe. 
Von da aus genoß man eine herrliche Aussicht auf das ganze Thal. Dort oben 
stand das Herrenhaus, bas stolz auf bie nieberen Hütten bes Dorfes herabsah. Unb
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.