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Der Morgen graut. Wind und Regen legen sich allgemach. Zerrissene Wolfen-
fetzen treiben am Himmelsgewölbe, das sich im Osten röthet und sonst ein lichteres
Grau zeigt.
Durch eine enge Felsschlucht rauscht ein Bach. Kiefern stehen in dichte Reihen
beiderseits am Uferbord. Brombeerranfen reichen sich ,von hüben und drüben die
brüderlichen Hände.
Krabfamp springt auf eine Kiesbanf im Bach und schlüpft unter das grüne
Geflecht der Brombeerstauden. Er ist todtmüde und völlig erschöpft. Nach kurzer
Rast führte er aus, was er während derselben überlegte und sür gut befunden hatte.
Er bedeckte die Tasche mit einer dünnen Kiesschicht, erkletterte links die Bösch¬
ung, nachdem er unter den Nansen fortgeschlüpft ist und bringt zwei, drei dlrmvoll
trockener Kiefernäste auf die steine Kiesbanf, schlägt Feuer und entzündet den Reißig-
stoß Dann entkleidet er sich und nimmt ein Bad in dem eisigfalten Wasser, wahrend
er die Kleider zum Trocknen ans Feuer hängt. Nach einiger Zeit verläßt er sein
Versteck. Die Spuren der verflossenen Nacht sind ziemlich von seinen Kleidern ver¬
schwunden. Die Felltasche hat er nicht vergessen.
Er eilte durch den Wald bis zur Landstraße planlos, da er die Gegend nicht
qenau kennt. Zum nächsten großen Dorf will er. In einer steinen Stunde suhrt
ihn die Landstraße in ein Städtchen, das er in ganz anderer Richtung «ahnte.
Krahkamp ist sehr zufrieden damit. Hier würde er feinen Besonnten antreffen,
das wußte er. Dennoch geht er die Gäßchen der Armen, entlang der Stadtmauer
zum Bahnhof und vermeidet die verkehrsreiche Hauptstraße. Nach einer halben
Stunde schon trägt ihn der Zug eilenden Fluges noch Nordwesten, zur Residenz.
Dort will er seinen Raub verkaufen. —
Am Morgen dieses Tages war die Bäuerin früh erwacht. Der Himmel war
hell und fast ohne Wolken, funkelnder Sonnenschein lag auf der Heide — es war
ein frischer fröhlicher Herbstmorgen nach der Sturmnacht hereingebrochen.
Ihr war viel leichter zu Muthe als am vergangenen Abend, als sie durch die
Heide ging, die mit Tausenden funkelnder Tröpfchen überschüttet war. Die Glocken
der Kirche riefen so weihevoll zur Frühmesse, aus allen Wegen strebte das fromme
Volk dem Gotteshaufe zu. , ^ „
Was sich die Leute am heutigen Morgen viel zu erzählen hatten ! ^n hellen
Hansen standen sie vor der Kirchthür, und der Wind trug Theile ihres erregten
Gespräches zur Bäuerin, als sie noch ein paar Hundert Schritt entfernt war.
„Eingebrochen, eingebrochen!" fchallt's ihr entgegen. „In der Sakristei." Als
sie zu ihren Bekannten tritt, erfährt sie das Nähere.
„Der hat ein kleines Vermögen gestohlen," meint Einer.
„Er wird sich seines Raubes nicht lange freuen, sie werden ihn schnell ein*
gefangen haben. Er hat die Kirche bestohlen, unb das läßt Gott nicht ungestraft.“
Die Bäuerin vom Heibehof ist wie betäubt, noch als sie schon in ihrem Stuhl
fniet unb bie Gemeinbe bas Eingangslieb singt. „Krahkamp ist ber Dieb!" burch-
zuckte sie ein plötzlicher Gedanke, als sie zuerst von bet That hörte, unb bet schreck¬
liche Verdacht schlägt seine Krallen immer tiefer in ihr Hetz.
Sie weiß gar nicht, wie sie nach Hause gekommen ist, was der Pfarrer nach
der heiligen Messe ben Gläubigen gesagt hat. Sie meint nur gehört zu haben, baß
er über ben Raub sprach.
Die Bäuerin läßt das Feuer niederbrennen. Für wen soll sie zu Mittag
kochen? Sie kann bech nichts genießen, unb wenn er kommt, ist bennoch schnell ein
Mahl bereitet.