Volltext: Illustrierter Braunauer-Kalender 1903 (1903)

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II. 
Die Bäuerin kann keinen Schlaf finden. Ihr ist so schreckhaft zu Muth- und 
sie schauert schon zusammen, wenn es irgendwo im Gebälk des alten Hauses knackt, 
wenn der Sturm lauter als gewöhnlich heult und fast das Fenster einzudrücken droht. 
Wo ihr Mann wohl weilen mag in der schrecklichen Nacht? Die Nacht ist 
keines Menschen Freund. ^ ~ 
Der arme, arme Mann denkt sie. Wie hart müßte thtt der drohende schlag 
treffen, nachdem er dreißig Jahre fast ärger als ein Knecht für sein Vätererbe 
gearbeitet und geschafft hat! 
Er gibt es nicht zu, daß der Verkauf stattfindet. )o sucht sie sich zu trösten. 
Er wird Alles daran setzen, um den Wucherer abzuschütteln. 
Alles? Um Gottes Willen, auch eine unrechte That? Das Herz droht ihr 
stille zu stehen. Aber nein, sie verwirft den Gedanken. Warum soll sie an ihrem 
Ehegemahl zweifeln? Er ist so rechtlich, so geraden Sinnes — der H.-rtgott soll 
schon Alles recht machen. Unter halblautem Beten schläft sie endlich ein. 
Der Wind braust immer zu und rast über die Hochebene. Armer Windetet, 
der draußen weilt! 
Aus den Rinnen des Fahrwegs sind Betten für tauschende Gießbäche geworden, 
die Schlamm und Geröll thalwärts tragen. Kein Stern flimmert am Himmel, der 
sich mit kaum merklichem, fahlem Leuchten von den Hügeln abhebt. 
Aber ist es Täuschung oder Wirklichkeit? Fern, fern erhellt ein röthlicher 
Schein die Nacht. Es ist nur ein armer dünner Strahl, und die Dunkelheit droht 
ihn zu verschlingen. Aber wieder und wieder bricht er siegreich durch. 
Und auch dies Licht erlischt, und die tiefe Finsterniß beherrscht wieder unge¬ 
schmälert die nächtliche Erde. — Wo entsprang der Strahl? Wer hat ihn entzündet? 
Es war in der Richtung nach der Kirche zu: die Häuser liegen zu fern, und die 
Mitternacht zu nahe, als daß ein lebendes Wesen den Schein bemerkt uud sich jene 
Fragen vorgelegt hätte. 
Der allein Auskunft hätte geben können, steht in der niederen Sakristei, die 
sich schüchtern an den Chor der Kirche lehnt und hat eine Felltasche geöffnet vor 
sich am Boden stehen, in die er eben ein steinbesetztes Vortragkrenz hineinwirft, 
nachdem er es mit den Händen zusammengedrückt hat. Es klingelt und klirrt im 
Grunde der Tasche; das goldene Kreuz hat Gesellschaft gesunden. 
Der Dieb thut schnelle Arbeit; feine Hände zittern vor Hast und Aufregung 
im Schein der Blendlaterne. Die Muskeln um den fest zusammengepreßten Mund 
zucken und spannen sich, und wirre weiße Haare hängen in die gefurchte Stirne. 
Wolf, Du wirst Krahkamps Heidehof nicht an Dich bringen! 
Der Dieb steht auf und keilt die Thür des Schrankes wieder fest in ihren 
Rahmen; sodann setzt er das Holzstück, in welches das Riegelschloß eingelassen ist 
und das er in Stunden langer Arbeit mit feinem Einschlagmesser ausgeschnitten hat, 
an seine richtige Stelle. „Man wird's nicht gleich merken!" . 
Er erlöscht die Laterne. Sogleich fällt der rothe Schein des ewigen Lichts 
in die Sakristei. 
Krahkamp zittert. Am liebsten würde er laut aufschreien vor Angst und Auf¬ 
regung. Mit seiner Felltasche weicht er zurück an die Wand, klettert aus den Bet¬ 
stuhl, bann in bie Fensternische, burch einen teeren Scheibenrahmen hinaus in bie 
Sturmnacht. — . . ^ 
Nun läuft er über Weg unb Felb, burch Walb unb Dom rote ein Itter. 
Die Tasche hält er mit beiben Hänben an ben Leib gepreßt; es klirrt in ihr bei 
jebem Schritt.
	        
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