Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in der Neuzeit (7, Die Neuzeit ; Zweite Periode ; 1928)

§ 31. Katharina II. und die Annexion Weißrußlands 
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Banner Christi verlassen und sich in die Reihen derjenigen gestellt 
hat, die unter dem Banner Moses’ und der alttestamentlichen Prophe 
ten streiten“. Der berühmte Mathematiker Euler machte gelegentlich 
der Nachricht über den Ausschluß des Sanchez folgende Bemerkung: 
„Ich bezweifle, ob derlei wunderliche Maßnahmen der Akademie der 
Wissenschaften zum Ruhme gereichen“. Noch viel weniger gereichten 
sie der russischen Kaiserin „zum Ruhme“. 
§ 31. Katharina II. und die Annexion Weißrußlands (1762—1789) 
In den damaligen regierenden Kreisen Rußlands gab es wohl nie 
mand, der die böswillige, von byzantinisch-kirchlichem Geiste erfüllte 
antijüdische Regierungspolitik schärfer verurteilt hätte als die ge 
bildete „Westlerin“, die künftige Kaiserin Katharina II., die bei all 
ihren Untugenden hervorragende staatsmännische Begabung besaß. 
Und doch war auch sie in den ersten Jahren ihrer Regierung nicht 
in der Lage, die in der Tradition verankerte und als echt russisch, 
als „volkstümlich“ geltende Politik gegenüber den Juden in neue 
Bahnen zu lenken. Um nämlich die von ihr angezettelte Palastrevo 
lution, die Ermordung ihres Gatten, des preußenfreundlichen Pe 
ters hl, in den Augen des Russenvolkes rechtfertigen zu können, 
mußte sich Katharina II. wenigstens in der ersten Zeit ihrer Regie 
rung, ihrem Freidenkertum zum Trotz, als fromme, in den Fuß 
stapfen ihrer rechtgläubigen Vorgänger wandelnde Herrscherin gebär 
den. Bemerkenswerte Einzelheiten hierüber erfahren wir aus ihren 
eigenen Memoiren, in denen sie von sich selbst in der dritten Person 
spricht: „Am fünften oder sechsten Tage nach der Thronbesteigung 
begab sich Katharina II. in den Senat. Es fügte sich, daß in der 
Sitzung gerade die Frage zur Erörterung stand, ob die Juden nach 
Rußland eingelassen werden sollten. Alle sprachen sich einstimmig 
dahin aus, daß dies wünschenswert sei. Angesichts der Zeitumstände 
trug jedoch Katharina Bedenken, dem Vorschlag auch ihrerseits zu 
zustimmen. Der Senator Fürst Odojewskij beeilte sich, ihr zu Hilfe 
zu kommen, erhob sich von seinem Sitz und sprach: ,Wollen Majestät 
nicht, ehe der Entschluß gefaßt ist, in eine Resolution Einblick neh 
men, die die Kaiserin Elisabeth in einem ähnlichen Falle eigenhändig 
aufgesetzt hat?‘ Daraufhin befahl Katharina, die Akten herbeizu
	        
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