Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in der Neuzeit (7, Die Neuzeit ; Zweite Periode ; 1928)

§ 29. Moskowien und das neue Rußland 
Ebenso wie in der südwestlichen Grenzmark des russischen Kaiser 
reiches sollte die jüdische Frage bald auch in dem entgegengesetzten, 
an Polen stoßenden Grenzstrich, in dem dem polnischen Weißrußland 
benachbarten Bezirk von Smolensk in Erscheinung treten. Ein Kno 
tenpunkt des Moskau mit Weißrußland und Litauen verbindenden 
Handelsverkehrs, war diese Grenzstadt den Juden schon immer zu 
gänglicher gewesen als die im Landesinneren gelegenen Städte. 
So konnten in und um Smolensk eine Reihe kleiner jüdischer Sied 
lungen entstehen. Eine dieser Kolonien, die im Flecken Zwjerowitsch, 
deren Mittelpunkt der reiche Zoll- und Schanksteuerpächter Baruch 
Leibow mitsamt Gesinde und Angestellten bildete, wurde mit der Zeit 
so zahlreich, daß die Gemeinde an die Errichtung einer Synagoge 
schritt. Das Auftauchen von bodenständigen Juden in dem erzrussi 
schen, Polen längst entrissenen Lande erregte jedoch den Unwillen 
der orthodoxen Bürgersleute von Smolensk. Ihren Handelsneid mit 
Eifer für den rechten Glauben bemäntelnd, beeilten sie sich nun, 
ihre Rivalen bei der „Heiligen Synode“ zu Petersburg zu verklagen 
(1722). Seitdem Smolensk vom polnischen Joche befreit und Ruß 
land zurückgegeben worden sei — so hieß es in der Beschwerdeschrift 
— hätte im Lande ein einziges christliches Bekenntnis geherrscht, 
während „der garstige Judenglaube“ spurlos verschwunden sei; 
neuerdings gebe sich aber der Gouverneur von Smolensk Fürst Gaga- 
rin dazu her, den Juden das Überschreiten „der litauischen Grenze“ 
zu gestatten und ihnen nicht nur weitgehende Handelsfreiheit einzu 
räumen, sondern auch die Pacht der Schanksteuer und der Zölle zu 
übertragen, so daß es von ihnen, ihren Weibern und Kindern ge 
radezu wimmele, was zum größten Nachteil für den rechten Glauben 
ausschlage. Sei es doch die Art der Juden, ihren Glauben anzupreisen, 
den der Christen aber zu schmähen, ihren Sabbat und ihre Feiertage 
heilig zu halten, an den christlichen Feiertagen jedoch ohne Bedenken 
zu arbeiten und sogar die christliche Dienerschaft zur Arbeit zu zwin 
gen. Die Gefahr für den Glauben sei besonders schwer geworden, seit 
dem der Zollpächter Baruch Leibow in dem Flecken Zwjerowitsch in 
der nächsten Nähe der Kirche des Hl. Nikolaus eine Synagoge er 
richtet habe. Als der Ortsgeistliche Abrahamius den Bau zu hinter 
treiben versucht habe, sei er von Baruch so schwer verprügelt worden, 
daß er an den Folgen der Mißhandlung gestorben sei. Angesichts all 
dieser Missetaten suchten die Bittsteller zum Schlüsse darum nach, die 
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18 Dubnow, Weltgeschichte des jüdischen Volkes, Bd. VII
	        
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