Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in der Neuzeit (7, Die Neuzeit ; Zweite Periode ; 1928)

Die Übergangsepoche (16U8—1789) 
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dem russischen Reiche große Massen von Angehörigen jenes Stam 
mes einverleibt, dessen Vertreter dort ehedem selbst ausnahmsweise 
nicht geduldet wurden. Die nachfolgenden Teilungen überantworten 
Rußland neue Hunderttausende von polnisch-litauischen Juden, deren 
Zahl im Laufe der Zeit in die Millionen steigen sollte. 
Noch schärfer als in den äußeren Verhältnissen des Judentums tre 
ten die Wandlungen dieser Übergangsepoche in seinem inneren Leben 
hervor. Sabbatai Zewi an der Schwelle dieser Epoche und Moses 
Mendelssohn an ihrem Ende kennzeichnen zur Genüge die ganze 
Spannweite der dazwischenliegenden geistigen Evolution. Freilich ver 
läuft sie im Osten in ganz anderen Rahnen als im Westen. Zeitge 
nosse und zugleich Antipode des in Deutschland führenden Mendels 
sohn war der in Polen wirkende Beseht, der Begründer des Chas 
sidismus. Wie verschiedenartig indessen all diese Strömungen auch 
sein mochten, so lag ihnen allen die gleiche unstillbare Sehnsucht 
nach einer geistigen Wiedergeburt zugrunde. In der zweiten Hälfte 
des XVII. Jahrhunderts war die schwer heimgesuchte Diaspora, deren 
Leiden auf anderem Wege unüberwindbar zu sein schienen, von der 
trostvollen Hoffnung auf baldige Erlösung erfüllt und geriet in den 
Bann messianischer Träume. Der leidenschaftliche Drang der Nation 
nach einem neuen Leben in der alten geschichtlichen Heimat fand 
seine Verkörperung in Sabbatai Zewi. Aber auch nach dem Zusam 
menbruch dieser mächtigsten aller messianischen Bewegungen konn 
ten viele der Gläubigen nicht so bald von ihrem Glauben lassen: 
noch lange nach dem Scheitern des politischen Messianismus geht im 
Volke das Gespenst eines mystischen Messias um, gleichsam das 
Schattenbild einer plötzlich erblühten und ebenso schnell verwelkten 
Hoffnung. Krampfhaft klammert sich das Volk an ein blasses Schemen, 
als ginge es darum, die „Scheu vor der Leere“ zu überwinden, die durch 
die unnütz vergeudete Energie in seiner Seele entstanden war. Die Ge 
fahr der seelischen Aushöhlung war in der Tat nicht gering und ihre 
Folgen begannen sich bereits in mancher geistigen Mißgeburt zu zei 
gen (das geheime Sabbatianertum sowie der Frankismus in Polen). 
In diesem Augenblick sollte jedoch dem müden Wanderer von zwei 
Seiten her Hilfe zuteil werden. In Deutschland werden der morsche 
Rabbinismus ebenso wie der Mystizismus, beide durch gegenseitige 
Bekämpfung ohnehin entkräftet, von der neuzeitlichen Aufklärung 
und dem intellektualistischen Humanismus immer mehr in den
	        
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