Volltext: Die älteste Geschichte des jüdischen Volkes (1, Orientalische Periode / 1925)

§ 67. Die Entwicklung des Schrifttums; der Prophet Jeheskel 
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Er hörte nun auf zu tadeln und zu drohen, vielmehr tröstete er seine 
trauernden Brüder und suchte ihnen neuen Mut einzuflößen. Die 
Vertreter des Unabhängigkeitsideals konnten sich das Fortbestehen 
der zertrümmerten Nation ohne staatlich anerkannten Kultus und 
ohne Tempel gar nicht vorstellen. Jeheskel bemühte sich nun, die 
Gedanken der Verzweifelnden in neue Bahnen zu lenken: die öffent 
lichen religiösen Kulthandlungen sollten durch das Ideal religiös 
sittlicher Vervollkommnung der Persönlichkeit ersetzt werden; an 
Stelle der Predigt von der kollektiven Sünde und deren Buße tritt 
nun die Lehre von der individuellen Sünde und Reue; statt des 
Prinzips der Gesamtbürgschaft der religiösen Gemeinde sucht er 
dem Prinzip der persönlichen Verantwortung eines jeden für seine 
Handlungen Geltung zu verschaffen. Oft hörte der Prophet ver 
zweiflungsvolle Geständnisse der Deportierten: „Fürwahr, unsere 
Abtrünnigkeiten und unsere Sünden lasten auf uns und durch sie 
schwinden wir dahin“; „Die Väter haben Herlinge gegessen, aber 
den Kindern wurden die Zähne stumpf“. Darauf erwiderte ihnen 
Jeheskel: 
„Nur die Seele, welche sich vergeht, die soll sterben; ein Sohn 
soll nicht die Schuld des Vaters mittragen, und ein Vater soll nicht 
die Schuld des Sohnes mittragen; die Gerechtigkeit des Gerechten 
soll auf ihm ruhen, und die Gottlosigkeit des Gottlosen soll auf 
ihm ruhen. . . . Zeugt nun jemand einen Sohn, und er sieht alle 
Vergehungen, die sein Vater beging, und handelt nicht ebenso, ißt 
nicht auf den Bergen (Bamoth) und erhebt seine Augen nicht zu 
den Götzen des Hauses Israel, verunreiniget nicht das Weib seines 
Nächsten, nimmt kein Pfand weg und verübt keine Erpressung, 
reicht sein Brot dem Hungrigen und bedeckt den Nackenden mit 
einem Gewände; hält seine Hand fern von Frevel, nimmt keinen 
Wuchervorteil und Zins und handelt nach Gottes Satzungen, ein 
solcher soll nicht sterben wegen der Schuld seines Vaters. . . . 
Wenn sich aber der Gottlose von allen seinen Sünden, die er 
begangen hat, bekehrt und alle Satzungen Gottes beobachtet und 
Recht und Gerechtigkeit übt, so soll er am Leben bleiben und nicht 
sterben. . . . Habe ich denn wirklich Wohlgefallen am Tode des 
Gottlosen, ist der Spruch des Herrn Jahve, nicht vielmehr daran, 
daß er sich von seinem bösen Wandel bekehrt und am Leben 
bleibt? . . . Werft ab von euch alle eure Missetaten und schafft 
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