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dürfniß seiner Seele und deren freier Entwurf war. Dieser Be
trachtungsweise, die dem hartnäckigen Stillstände wie der gewalt
samen Bewegung gleich abgeneigt war, waren seine Ideen in je
der Richtung gemäß; ihr entsprach Göthe als Dichter und Phi
losoph, als Naturforscher und Staatsmann. Je näher ein philo
sophisches System dem Jdentitätsprincip und der Idee gesetzmäßi
ger Entwicklung angehört, um so verwandter ist es dem Genius
dieses Dichters. Darum befreundete sich Göthe in der kanti-
sch e n Philosophie am meisten oder vielmehr allein mit der Kri
tik der Urtheilskraft, weil hier die Identität von Natur und Geist
angestrebt oder doch ästhetisch zugelassen wurde, und die spätere
Jdentitätsphilosophie, wenn er sie näher gekannt hätte, würde ihm
vielleicht unter allen Systemen am congenialsten gewesen und als
die Erfüllung dessen erschienen sein, was er von Fichte vergebens
erwartet hatte. Darum sympathisirte Göthe unter den frühern
Philosophen mit Spinoza, so weit dieser Pantheist und Jdenti-
tätsphilosoph war; besonders aber mit Leibniz, der aus dem Be
griffe der Identität den Begriff der continuirlichen Entwicklung
löste. Und auf der andern Seite leuchtet ein, warum die spätern
Jdentitätsphilosophen Schelling und Hegel sich unter allen Dich
tern Göthen am nächsten verwandt fühlen. Göthe vereinigt
in naiver Weise und ohne jede philosophische Absicht die Allein
heitslehre Spinoza's mit der leibnizischen Monadologie, er ver
folgt und sucht überall das Naturgesetz der Metamorphose und
Evolution, und wenn seine philosophische Weltansicht mit ei
nem bestimmten Namen bezeichnet werden soll, so möge sie in je
nem leibnizischen Pantheismus bestehen, den vor ihm Lessing
anstrebte und nach ihm Schelling erfüllte. Ein natürlicher Feind
des Dualismus, wie er war, mußte er jenen unversöhnlichen
Gegensatz zwischen Naturalismus und Theismus, den Jacobi so