Volltext: Leibniz und seine Schule [2. Band] (2,2 / 1867)

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staben finden. Darum bezeichnet sie Lessing als „das Christen 
thum der Vernunft"*), um anzudeuten, daß die Vernunft 
mit der freiesten Ueberlcgung dem Geiste des Christenthums bei 
stimmen könne. Freilich ist die lessing'sche Trinität nicht die 
Kirchenlehre. Was Lessing den Sohn Gottes nennt, ist nicht 
die Gottmenschheit im kirchlichen Sinne, nicht Christologie im 
Verstände der rechtgläubigen Dogmatik. Auch will Lessing die 
sen Unterschied weder übersehen noch in Abrede stellen; er will 
nur zeigen, daß die christlichen Religionsbegriffe der Vernunft 
nicht so fern liegen, als die bisherige Aufklärung nach ihrem Ver 
stände meinte und die Orthodoxie in ihrem Eifer behauptet. 
Die tiefdenkende Vernunft führt unwillkürlich zum Christenthum; 
und wenn die christlichen Religionsbegriffe in ihrem wahren Geiste 
fortgebildet werden, so müssen sie zur Vernunft führen. Lessing 
zeigt in dem „Christenthum der Vernunft" nur den möglichen 
Vereinigungspunkt zwischen Vernunft und Christenthum als das 
Ziel, welches gesucht werden müsse, und dem er selbst, soviel 
er vermochte, sich annähern wollte. Keineswegs meinte er, die 
sen Punkt gefunden und für alle Zeiten festgestellt zu haben. Er 
wollte die Bahn zu diesem Ziele brechen, von dem, wie er wohl 
sah, die Richtungen seines Zeitalters zu weit abgewichen waren. 
*) Das Christenthum der Vernunft. Theol. Nachl. 
Bd. XI. S. 604 flgd. Wenn Lessing die Trinität als Vernunstlehre 
darstellt, so widerspricht er zwar dem Buchstaben der leibnizischen Philo 
sophie, aber er entspricht ihrem Geiste, indem er dazu ächt leibnizische 
Begriffe anwendet. Wenn Lessing von Gott sagt, daß er Alles schafft, 
was er denkt, so löst er jenen Widerspruch, welchen wir in Leibniz' 
Schöpfungsbegriffe dargethan haben (vergl. Cap. I. dieses Buchs. 
S. 734 flgd. Nach Lessing bezieht sich die Wahl , Gottes nicht auf die 
Dinge, welche geschaffen, sondern auf die Ordnung, in der sie ge 
schaffen werden sollen.
	        
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