Volltext: Leibniz und seine Schule [2. Band] (2,2 / 1867)

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war eher, als die Bibel; das Christenthum eher, als die Schrif 
ten der Evangelisten und Apostel, und es bestand schon lange 
Zeit vor dem biblischen Kanon. Wenn aber die Religion ein 
mal ohne schriftliche Urkunden bestanden hat, so ist die Möglich 
keit bewiesen, daß sie überhaupt ohne Urkunde, daß die christliche 
Religion ohne Bibel bestehen kann. Wenn sie es nicht könnte, so 
müßte sich das Christenthum erst von dem Augenblicke datiren, wo 
die Bibel geschrieben wurde; so müßten wir unser Christenthum 
erst von dem Augenblicke datiren, wo von uns die Bibel gelesen 
wurde. Dagegen zeugt die Vernunft, die menschliche Erfahrung, 
die Geschichte der christlichen Kirche. Das historische Christen 
thum gründet sich nicht allein auf die Bibel, sondern auch auf 
die Tradition, wie der Katholicismus; und auf der andern Seite 
berufen sich Lehren, die entschieden nicht christlich, sondern häre 
tisch sind, wie der Socinianismus, auf die Bibel, um ihre hete- 
rodoxen Begriffe zu rechtfertigen. Weit entfernt also, daß die 
Bibel den Grund der Religion bildet, muß vielmehr das ent 
gegengesetzte Axiom gelten und die Religion als der Grund der 
Bibel angesehen werden. So lautet der Satz, welchen Lessing 
gegen Goeze in allen Punkten vertheidigt*). 
4. Das Wunder als Grund der Religion. 
Die „regula fidei“. 
Die Wahrheit der christlichen Religion gründet sich nicht auf 
die Glaubwürdigkeit der Bibel. Mag der Fragmentist immerhin 
diese umstoßen, so bleibt jene dennoch unverrückt und unverküm- 
mert bestehen. Was ist nun der wahre Grund der christlichen 
*) Axiomata. Wider den Pastor Goeze in Hamburg. Bd. X. 
S. 133 flgd. Vgl. Anti-Goeze, d. i. nothgedrungene Beiträge zu den 
freiwilligen Beiträgen des Herrn Pastor Goeze.«
	        
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