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Schöpfung und der architektonische Menschengeist als eine kleine
Gottheit.
4. Die Nothwendigkeit der Schöpfung.
Gott ist nur, indem er wirkt; er wirkt nur, indem er
schafft; er schafft nach der deutlichsten Vorstellung und verhält
sich darum zu dem Geschaffenen, wie der Künstler zu seinem
Werke. Wie und was schafft Gott? Unter welchem Gesetze ge
schieht die Schöpfung, oder ist sie gesetzlos? Es handelt sich um
die Freiheit und Nothwendigkeit in Gott, und man darf im Vor
aus annehmen, daß Leibniz diese große Frage hier in einer ähn
lichen Weise lösen wird, als er sie in der Psychologie des Men
schen gelöst hat. Wenn man Freiheit und Nothwendigkeit einan
der entgegensetzt, so geräth man in eine unauflösliche Schwierig
keit, welche Leibniz als eines der Labyrinthe bezeichnet, worin
sich die menschliche Vernunft gewöhnlich verirrt*). Ist die
Schöpfung oder das Wirken der göttlichen Kräfte ein Act der
Nothwendigkeit, die den Willen vollkommen unterwirft und da
mit zu nichte macht, oder ist sie ein Act der Willkür, die kein
Gesetz kennt? Gleichviel, welche Seite des Gegensatzes wir er
greifen, ob wir die Welt von einer allmächtigen Nothwendigkeit
oder von einer allmächtigen Willkür abhängig machen, in beiden
Fällen regiert ein fremdes, unwiderstehliches Schicksal den Gang
der Dinge, und damit wird Freiheit und Selbstbestimmung im
Innern der Welt und des Menschen vernichtet. Wozu noch thä
tig sein und Lebenszwecke ernstlich verfolgen, wenn die Dinge
doch unabänderlich so kommen, wie sie vorher ausgemacht sind?
Dem Menschen scheint dann Nichts übrig zu bleiben, als das
*) Vgl. Theodicee. Preface. Op. ph.il. pg. 470.