626
satz in dem Ergebniß. Dieselben Religionswahrheiten können
uns ja von der Natur eingepflanzt und von Gott offenbart sein.
Und gesetzt, daß die ganze Natur selbst eine Offenbarung Gottes
ist, so sind die Naturwahrheiten zugleich göttliche Offenbarungen,
und damit erklärt sich auch die natürliche Religion in unserer
Seele als göttlicher Abkunst. Wir behaupten keineswegs, daß
die natürliche Religion und die positive sich zu einander wie glei
che Größen verhalten; wir bestreiten nur, daß sie sich sogleich wie
entgegengesetzte verhalten müssen. Es soll nicht sofort ausgemacht
sein, daß sie sich gegenseitig widersprechen und vollkommen aus
schließen. Ihr Verhältniß, so weit wir es bis jetzt bestimmt ha
ben, kann ein positives, es kann auch ein negatives sein; es bleibe
vorläufig dahingestellt.
2. Das natürliche Gottesbewußtsein.
Die leibnizische Philosophie kann die Religion nur psycholo
gisch erklären. Ihr Standpunkt ist die natürliche Religion.
Die Grundlage ihrer Religionsphilosophie ist der natürliche (ange-
borne) Gottesbegriff. Wie sie in der natürlichen Verfassung der
menschlichen Seele die Elemente der Schönheit, Kunst, Moral
entdeckt, so entdeckt sie eben hier auch die Elemente der Religion.
Wie sie aus ursprünglichen Seelenkräften alle unsere Wahrheiten
herleitet, so auch die Religionswahrheiten. Mit dem Triebe nach
Aufklärung und Glückseligkeit ist auch das Streben nach Gott
der menschlichen Seele eingeboren. Und dieses naturgemäße
Streben bildet den Grundzug der Religion. Daher entwickelt
sich mit der Seele auch die Religion; sie beginnt, wie alles Mensch
liche, mit der dunkeln Vorstellung, dem Gefühle, dem Jnstinct,
und sie endet mit der klaren und deutlichen Erkenntniß. Die
Entwicklung der Religion ist deren Aufklärung. Den Ausgangs-