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bildet sein Kunstwerk ein Weltgebäude im Kleinen: der Künstler
erscheint daher bei Leibniz unter dem Bilde des Baumeisters, der
künstlerische Geist als der architektonische. Dieß entspricht seinem
Begriff von der ästhetischen Vorstellung, die in eine dunkle Mathe
matik, in ein unwillkürliches Zählen und Messen gesetzt wurde.
Um Leibniz' Begriffe von Schönheit und Kunst richtig zu würdi
gen, muß man weniger auf die Worterklärungen achten, wonach
die einen mathematisch, die andern mechanisch erscheinen, als auf
die Quelle, woraus Schönheit und Kunst von ihm abgeleitet
werden. Das Wichtige ist, daß er sie psychologisch begründet, daß
er ihre Quelle in der dunkeln Menschenscele, in dem Dämonium
des Geistes entdeckt: die Quelle der Schönheit in dem Form
gefühl, die der Kunst in dem Formtriebe.
Ich würde nun unbedenklich den künstlerischen Geist in die
Mitte setzen zwischen den natürlichen und moralischen Willen, so
wie die ästhetische Vorstellung in der Mitte stand zwischen der
sinnlichen und logischen Erkenntniß. War die ästhetische Vor
stellung die Vorstufe der deutlichen, so ist der künstlerische Wille
die Vorstufe des moralischen; und das Schöne überhaupt bat
demnach als ein Symbol (als eine noch verhüllte, dunkle Dar
stellung) des Wahren und Guten zu gelten. Und so wird in der
That die Sache aufgefaßt im Zeitalter der deutschen Aufklärung.
Die Aesthetik ist von der Logik, die Kunst von der Moral ab
hängig; unter diesem Gesichtspunkte fällt der Zweck der Kunst
oder der ästhetische Nutzen in die moralische Besserung.
Indessen wo Leibniz von dem architektonischen (künstlerischen)
Geiste redet, giebt er ihm eine höhere Bedeutung, als nur die
Vorstufe des sittlichen Geistes zu sein. Er sieht in der Kunst
nicht bloß eine mechanische, sondern eine ideale, schöpferische
Nachahmung der Natur, und so gilt ihm die künstlerische Fähig