598
im metaphysischen Sinne des Wortes. Wäre sie dies, so müßte
ihr Gegentheil unmöglich sein. Daß ich in diesem Augenblicke
diese Zeilen hier schreibe, ist eine Handlung, die sich aus meiner
Neigung erklärt; aus einer Neigung, deren letzte Bedingungen
sich weit hinaus in mein vergangenes Seelenleben erstrecken: inso
fern ist meine gegenwärtige Handlung durchgängig bestimmt
und vollkommen motivirt. Ist sie deßhalb nothwendig, näm
lich so nothwendig, daß ihr Gegentheil unmöglich ist, daß ich
in diesem Augenblicke schlechterdings nichts anderes thun kann,
als gerade diese Zeilen schreiben? Man braucht die Frage nur
zu stellen, um sie zu verneinen. Denn bei der unendlichen Fülle
von Neigungen und Bestrebungen, welche die menschliche Seele
in sich schließt, wäre es eben so gut denkbar, daß in diesem
Moment eine andere Neigung überwiegt, daß mich eine andere
Willensabsicht zu einer andern Handlung bestimmt. Und die
letzte aller Bedingungen, woraus unsere Neigungen folgen, liegt
in der ursprünglichen Disposition der Seele, in der ihr eingebe»
nen Anlage, in der Existenz unsrer Individualität. Ist diese
Existenz nothwendig im metaphysischen Sinne? Eben so noth
wendig, als eine geometrische Wahrheit? Ist sie etwa absolut?
Wie sic das letztere nicht ist, so ist ihre Nothwendigkeit eine rela
tive, bedingte, hypothetische, d. i. eine solche Nothwendigkeit,
die nicht unter allen, sondern nur unter gewissen Umständen statt
findet. Und eben diese bedingte Nothwendigkeit, die von unserm
Dasein überhaupt gilt, erstreckt sich auch auf alle Willensäuße
rungen desselben. Wie man bei der Freiheit genau unterscheiden
muß zwischen der Selbstbestimmung und Willkür, so muß man
bei der Nothwendigkeit genau unterscheiden zwischen der absoluten
und relativen, zwischen der metaphysischen (geometrischen) und
der natürlichen (physikalischen) Nothwendigkeit. Die Freiheit des