Volltext: Leibniz und seine Schule [2. Band] (2,2 / 1867)

569 
Begierde und des gemeinen Sinnengenusses. Zwischen diesem 
noch ganz verhüllten und jenem schon völlig entwickelten Zustande 
giebt es einen Helldunkeln Uebergangspunkt, ein elair-obseur, 
worin dem Geiste die reinen Formen wahrnehmbar werden. 
Hier bildet sich in der menschlichen Seele eine dunkle Perception 
der harmonischen Ordnung, ein Formgefühl, welches von der 
bloß sinnlichen Vorstellung eben so sehr als von der rein logischen 
unterschieden werden muß. Denn die sinnliche Vorstellung be 
schränkt sich auf den körperlichen Eindruck, die logische verlangt 
die deutliche Einsicht des Gegenstandes. Nun giebt es eine Form 
betrachtung der Dinge und einen Formgenuß, wozu sich der Sin 
neseindruck niemals erhebt, und die sich durch die logische Zerglie 
derung in die wissenschaftliche Deutlichkeit der Theilvorstellungen 
auflöst. Diese Formbetrachtung ist die ästhetische Vorstel 
lung; dieser Formgenuß das ästhetische Vergnügen. 
„Die Musik," sagt Leibniz, „entzückt uns, obwohl ihre 
Schönheit nur in harmonischen Zahlenverhältnissen, ihr Genuß 
in einem bewußtlosen, unwillkürlichen Zählen besteht. Und von 
derselben Art sind die Genüsse, welche das Auge in der Betrach 
tung der harmonischen Körperverhältnisse (äu»8 les proportions) 
findet*)." Es wäre ein Unrecht am Geiste der leibnizischen 
Philosophie, wenn wir diese Bemerkungen nur von ihrer man 
gelhaften Seite verstehen wollten, wonach die ästhetische Vor 
stellung wie eine bewußtlose, dunkle Mathematik erscheinen 
würde. Ist die dunkle Vorstellung der mathematischen Har 
monie und Form ästhetisch, so muß offenbar dasselbe von der 
dunklen Vorstellung oder dem Gefühle jeder Harmonie, jeder 
Form gelten. Und Leibniz ist weit entfernt, die Harmonie und 
*) Principes de la nature et de la gräce. Nr. 17. Op. phil. 
pg. 718.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.