Volltext: Leibniz und seine Schule [2. Band] (2,2 / 1867)

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gut als von den Organen des Körpers geleugnet werden. Neh 
men wir es, wie Leibniz, als Anlage oder unentwickelte Kraft, 
so gilt es von beiden, und dem Geiste sind in den Ideen die Organe 
der Erkenntniß eben so gut angeboren, als dem Körper in den 
Sinnen die Organe der Empfindung. Das ist der Mittelweg 
zwischen Descartes und Locke oder vielmehr der beiden überlegene 
Standpunkt: der menschliche Geist ist weder unmittelbare Er 
kenntniß, wie sich Descartes einbildet, noch, wie Locke meint, 
tabula rasa, sondern er ist Anlage zur Erkenntniß. Wir ver 
gleichen in dem von Leibniz beliebten Bilde die Erkenntniß oder 
den entwickelten Geist mit einem ausgebildeten Kunstwerke, etwa 
mit einer Herkulesstatue: so erscheinen die Anlagen des Geistes 
oder die angebornen Ideen gleich einem Marmor, der von Natur 
so geädert ist, daß er die Herkulesftatue präformirt und gleichsam 
in Liniamenten vorzeichnet, der also nach keiner fremden Idee 
mehr geformt, sondern nach seiner eigenen eingebornen Form nur 
ausgemeißelt zu werden braucht, um als deutliches Kunstwerk 
zu erscheinen. „Wenn die Seele jener leeren Tafel gliche, so 
wären die Wahrheiten in uns, wie die Herkulessigur in einem 
Marmor, der sich vollkommen gleichgültig dagegen verhält, ob er 
diese Gestalt empfängt oder jene. Gesetzt aber, es gäbe Adern 
in dem Steine, die vor andern Gestalten die des Herkules bezeich 
neten, so wäre ein solcher Stein zu dieser Gestalt mehr als zu 
jeder andern bestimmt, und der Herkules wäre ihm gleichsam ein 
geboren, obschon Arbeit dazu gehört, um jene Adern zu entdecken 
und durch Politur zu reinigen, indem man Alles fortschafft, das 
deren deutliches Hervortreten verhindert. So sind uns die Ideen 
und Wahrheiten eingeboren als Neigungen, Dispositionen, na 
türliche Fähigkeiten (virtualites naturelles), nicht aber als
	        
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