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verweist er auf die platonische Unsterblichkeitslehre; dem ainor
Dei Spinoza's, der christlichen Mystik, dem Quietismus stellt
er den „platonischen Enthusiasmus" gegenüber, nämlich jenes
klare Verhältniß, worin die Seele von dem Göttlichen erfüllt ist,
ohne davon verzehrt zu werden. Denn im Enthusiasmus des
platonischen Geistes verhält sich die menschliche Seele zur Gott
heit nicht wie ein Modus zur Substanz, sondern wie das Abbild
zu seinem Urbilde*).
So bildet Leibniz den bewußten und scharf bezeichneten Ge
gensatz zu Spinoza und zu allen dem Spinozismus verwandten
Geistesrichtungen. Er durchdringt hier mit einem kühnen und
überraschenden Tiefblick die Verwandtschaft zwischen Spinoza
und der Mystik, zwischen dem amor Dei des einen und dem
ainor Christi der andern; er erkennt im Spinozismus das
mystische Element und das spinozistische in der christlichen Mystik,
und gegen beide kehrt er denselben Grundbegriff der Individuali
tät, aus dem heraus er die Philosophie erneuert.
In seinem Urtheil über Spinoza und die Mystiker erinnert
uns Leibniz an Schleiermacher, der in jenen beiden, wie verschieden
auch ihre Außenseite erscheint, doch in dem Kern ihres Strebens
die verwandte Richtung erkannte. Aber wie beide in dem gleich
gestimmten Gefühle schlechthiniger Abhängigkeit von Schleier
macher bejaht werden, so verneint Leibniz beide unter dem ent
gegengesetzten Begriffe absoluter Eigenthümlichkeit und selbstthä-
sich Leibniz von den Atomisten des Alterthums, wie sich die Monade
vom Atom unterscheidet, und dieser Unterschied will mehr sagen, als daß
beide im Begriffe vieler Substanzen übereinstimmen.
*) Mens non pars est, sed simulacrum divinitatis. Ep. ad
Hanschium de philosophia platonica siye de enthusiasmo pla-
tonico. Op. phil. pg. 447.