Volltext: Das Passauer Stadtrecht

  
  
  
  
kürlichem Belieben jeweils in sog. Rechtssagungen erst geschaffen, 
„gesebt“ werde. Ist ja doch alles wirkliche Recht für die damalige 
Welt nichts anderes als gute, alte Gewohnheit, als ein Ausfluß des 
allgemeinen sittlichen Empfindens der gesamten mitlebenden Mensch- 
heit, für die das Recht noch nicht vom Staate oder öffentlichen Or- 
ganen „gemacht“ wird. So stellen sich auch die mittelalterlichen Rechts- 
aufzeichnungen gleichsam nur als Weistümer über bereits bestehende 
Rechtsgewohnheit oder als Vertrag der Beteiligten dar, wie das vor- 
handene alte Recht ausgelegt, gedeutet und angewendet werden 
solle. Auf Grund dieser in der Rechtswissenschaft längst feststehenden 
Tatsache!) ist also für das Mittelalter von vornherein mit einer weit 
größeren Stabilität der Rechtsanschauungen und der aus diesen sich 
ergebenden Rechtssäge zu rechnen als in der neueren oder gar neuesten - 
Zeit. Damit soll jedoch nicht gesagt sein, daß im Mittelalter mit der 
. fortschreitenden Zeit die Rechtszustände keinen Veränderungen, die 
Rechtssäge keinen Umbildungen unterlagen, zumal wo es sich um eine 
Epoche handelt, die anerkanntermaßen zu den entwicklungsreichsten 
auf dem Wege zur Neuzeit gehört. Für den fortgeschrittenen Stand 
des neuen Passauer Stadtrechtes in seinem Verhältnis zu jenem von 
1225 kommt noch wesentlich in Betracht, daß legteres bei der seinen 
Untertanen wenigstes nicht sehr geneigten Gesinnung des Bischofes 
Gebhard auf den Fortschritt der Zeit nicht entsprechend Rücksicht 
genommen hatte, während der humaner denkende Kirchenfürst Wern- 
_ hard wirklich bestrebt war, den neuen, zeitgemäßen Forderungen Rech- 
nung zu tragen?). Das alte, blutige Talionsprinzip ist nun erse$t durch 
das humanere System der Lösbarkeit von Hals und Hand durch 
Geldstrafen ; Verlegungen werden deutlicher nach ihrer Schwere ge- 
schieden (art. 14 u. 20); eine stärkere Differenzierung fester Tarife 
der an den Richter zu zahlenden Strafgelder?) läßt dessen Willkür 
1) Vgl. den Vortrag von Amira, „Vom Wesen des Rechts“, abgedr. in der 
Beilage z. Allg. Zeitung Nr. 284 vom 7. Dezember 1906; Schröder-v. Künßberg, 246; 
bes. aber Kern, Über die mittelalterliche Anschauung vom Recht, H. Z. 115. Bd. 
(1916), S. 496 ff.; ders.: Recht und Verfassung im Mittelalter, ebendort 120. Bd., (1919), 
S. 1 ff. und zulebt Steinacker, MIÖG. 39. Bd. (1922), 5. 82 f. 
2) Die Tatsache, daß das neue StR. auf dem Statut von 1225 beruhe, es fort- 
sege und zugleich eine Reihe von Bestimmungen enthalte, die sich namentlich 
durch eine gewisse Humanität und Originalität auszeichnen, hat auch Otto Franklin, 
Beiträge zur Geschichte der Reception des römischen Rechts in Deutschland, 
Hannover 1863, S. 55, betont. Auch der Passauer Stadtchronist (StA. II, 133, S. 80) 
weist auf die Kontinuität des neuen StR. mit dem früheren Rechtsgebrauche hin, 
wenn er schreibt: „Balt hernach a° 1300 (richtig 1299!) im Summer hat er (Bischof 
Wernhard) der Ganzen Burgerschafit etlich Stadtrecht und alt Gebrauch vor- 
geschriben, die man nachmalen den Stadtbrief genannt.“ 
3) 10, 5, 1 g; 6sh-+12 A; 72, 60 4 gegenüber den nur Orc Straltaxen von 
9 g&, 6sh, 60 2 im StR. von 1225. 
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