Volltext: Das Passauer Stadtrecht

  
  
  
  
  
zu einer wirklichen Appellation geworden, hat die deutsche Praxis das 
römische Recht „rezipiert“!), ist also das bischöfliche Hofgericht aus 
einer Beratungsstelle zu einer zweiten, richtigen Instanzstelle geworden. 
In diesem Sinne ist jedoch kaum schon die Entscheidung des Passauer- 
Spruches vom Jahre 1443 über das „Dingen gen hof“ oder „in die 
kamer“, d. h. in das Hofgericht oder in die Kammer des Bischoifs?), auf- 
zulassen; eher noch ließen sich die gleichen Termini in der Gerichts- 
urkunde von 1434 (MB. 28b, 442f.) so deuten: Der Landgraf zu Stühlingen 
verhandelt an Stelle des Kaisers Sigismund im kaiserlichen Hofgerichte 
die Klage des Passauer Bischofs Leonhard gegen einen Passauer Bürger, 
der unter Umgehung des ordentlichen Klageweges einige Mitbürger 
wegen Schuldforderungen vor das westfälische Femgericht zitierte. 
Zunächst hatte er die Beklagten gegen art. 39 des StR. von 1299 vor 
Iiremde Gerichte geladen; dann hatte er zwar seine Klage vorschrifts- 
mäßig vor das Passauer Stadtgericht gebracht und unzufrieden mit 
dem Urteile an des Bischofs Hofgericht gedingt; doch lud er hierauf gegen 
die Bestimmungen des Passauer Rechtes, das als weitere Berufungs- 
bzw. Beratungsstelle das bischöfliche Kammergericht?) vorschrieb, seine 
Schuldner vor das Femgericht und wurde deshalb schuldig gesprochen. 
Der wirkliche Berufungsweg „vom Stadtgericht zum Hofgericht, vom 
Hofgericht zum Kammergericht“, der durch die Eingabe um bessere 
Rechtsfindung vermittelt wurde, ist also in dieser Zeit in Passau schon 
angebahnt. Zweifellos aber ist das römisch-rechtliche Institut, die 
„ordennlich unnd formlich Appellacion“, in Passau im 16. Jahrhunderte 
durchgedrungen, wie uns ihre Regelung im Laudum Bavaricum f. 16—18 
1) Stölzel, 340 £. 
?) MB. 28 b, 532f.; die Wendung „man nem die erledigten Urtail oder nicht“ 
besagt doch wohl, daß diese Urteile nicht unbedingt verbindlich waren. 
3) Das bischöfliche Kammergericht war also Berufungsstelle nach dem bischöf- 
lichen Hofgerichte und wurde bald legtes wirkliches Appellationsgericht, eine Art 
Revisionsstelle für Klagen gewöhnlicher Sterblicher. Im Prinzip sollte es wie 
das zuerst 1415 bezeugte königliche Kammergericht (vgl. Schröder-v. Künßberg, 
601, 657 f.) den Rechtszug an die Person des Landesfürsten bzw. Stadtherrn selbst 
gewährleisten, dem dann als Urteiler vornehmlich juristisch gebildete Personen, 
Rechtsgelehrte, zur Seite standen. Streitigkeiten von ganz besonderer Wichtig- 
keit, wie zwischen dem Bischofe und der Stadt oder anderen Fürsten, wurden 
gewöhnlich durch ein Schiedsgericht aus der Welt geschafft, konnten aber schließ- 
lich auch vor dem obersten Reichsgerichte (Hof- und Kammergerichte, seit 1495 
Reichskammergerichte) ausgetragen werden. Nach dem Freiheitsbriefe Bischof Wern- 
hards für die Passauer Münzergenossen vom 28. September 1310 (StA. Passau I, 
Nr. 5) war die bischöfliche Kammer für diese privilegierter Gerichtsstand. Ob und 
welcher Zusammenhang legterer Eigenschaft mit dem späteren Charakter eines 
allgemeinen Appellationsgerichtes der bischöflichen Kammer bestand, vielleicht 
ähnlich wie zwischen Reichshofgericht und königlichem Kammergericht im 15. Jh. 
auf der Grundlage der fiskalischen Interessen (vgl. Lechner in MIÖG., 7. Er- 
gänzungsbd. 1907, S. 83), vermag ich nicht zu sagen. 
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